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Ekel

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Beispiele für Ekel-Mimik. Abbildungen aus dem Buch Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren von Charles Darwin
Adriaen Brouwer: Der bittere Trank, um 1630–1640
Orale Abwehrreaktion eines Säuglings

Ekel ist die Bezeichnung für die Empfindung einer starken Abneigung in Verbindung mit Widerwillen. Im Gegensatz zu anderen weniger starken Formen der Ablehnung äußert sich Ekel mitunter auch durch starke körperliche Reaktionen wie Übelkeit und Brechreiz, Schweißausbrüche, sinkenden Blutdruck bis hin zur Ohnmacht. Wissenschaftlich gilt Ekel nicht nur als Affekt, sondern auch als Instinkt. Die instinktive Reaktion ist in Bezug auf bestimmte Gerüche, Geschmäcker und Anblicke angeboren. Zusätzliche Ekelgefühle werden aber auch während der Sozialisation erworben. Ekel dient der Prävention von Krankheiten.[1] Nahrungstabus werden auch deshalb eingehalten, weil tabuisierte potenzielle Nahrungsmittel anerzogene Ekelgefühle auslösen.

Nach der einstigen Auffassung von Lothar Penning, der sich mit sozialwissenschaftlichen und kulturgeschichtlichen Aspekten des Ekels beschäftigt hatte, wurde Ekel als ein sozialer Mechanismus definiert, „der kulturell bedingt und pädagogisch vermittelt, sich den primitiven Brech- und Würgereflex zunutze macht, um die vorrational erworbene, soziale Basisidentität zu schützen.“[2]

Ekel spielt auch bei einigen Phobien eine Rolle, das wesentliche Merkmal einer Phobie ist jedoch Angst, nicht Ekel. Extreme Ekelempfindlichkeit wird in der Psychologie als Idiosynkrasie bezeichnet. Bei der Krankheit Chorea Huntington empfinden Betroffene dagegen überhaupt keinen Ekel und können auch den entsprechenden Gesichtsausdruck bei anderen nicht mehr deuten.

Entstehung des Ekelgefühls

Ekel (eng. disgust, franz. dégoût) entsteht vermutlich im Gehirn im sogenannten Mandelkern, der zum limbischen System gehört, wo auch andere Emotionen verarbeitet werden. Die Aktivierung dieses Areals bei Ekelreaktionen konnte in Studien nachgewiesen werden. Die Fähigkeit, Ekel zu empfinden, ist zwar angeboren, Ekelgefühle werden jedoch erst im Laufe der ersten Lebensjahre durch Sozialisation erworben. Kleinkinder empfinden nachgewiesenermaßen noch keinen Ekel gegenüber Substanzen, Objekten oder Gerüchen; sie stecken auch Kot, Käfer oder Regenwürmer in den Mund. Mitunter wird auf die Tatsache verwiesen, dass schon Neugeborene mit dem Verziehen des Gesichts auf bitteren Geschmack von Flüssigkeit reagieren, doch wird das von der Mehrheit der Wissenschaftler nicht als Ekelreaktion interpretiert, sondern als angeborene Geschmacksaversion, wie auch die Präferenz für süß angeboren ist. Auf Gerüche, die Erwachsene als ekelerregend bezeichnen – wie den von Kot oder Schweiß – reagieren Kleinkinder bis etwa drei Jahren nicht.[3]

Made
Urinprobe

Ein Forschungsansatz geht davon aus, dass die menschliche Ekelfähigkeit in den Genen angelegt ist, die Objekte des Ekels jedoch von der jeweiligen Kultur festgelegt werden und variabel sind. Da die Ekelreaktion kein angeborener Instinkt ist, wird sie im Laufe der Sozialisation nach dem Vorbild von anderen, vor allem den Eltern, erlernt und ist kulturell beeinflusst. Das Prinzip lautet: „Ekele dich vor den Dingen, die in der Gesellschaft, in der du lebst, als ekelhaft gelten!“[4] Evolutionsbiologisch betrachtet erscheint das vor allem in Hinblick auf die Ernährung sinnvoll, da das Nahrungsangebot nicht in jedem Lebensraum identisch ist und sich im Laufe der Evolution auch ständig verändert hat. Das größte Ekelpotenzial haben weltweit offenkundig tierische Produkte, im Gegensatz zu Pflanzen und unbelebten Objekten.[5]

Weltweit gibt es einen typischen Gesichtsausdruck für das Ausdrücken von Ekel: Die Nase wird gerümpft und die Oberlippe hochgezogen, während die Mundwinkel nach unten gehen, bei starkem Ekel wird zusätzlich leicht die Zunge herausgestreckt.[3] Physiologisch kommt es häufig zu einem Würgereflex, Speichelfluss und Übelkeit mit Brechreiz, im Extremfall zu starkem Blutdruckabfall und zur Ohnmacht. Die Ekelempfindlichkeit ist individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Es ist möglich, Ekel zu verdrängen oder zu überwinden, was zum Beispiel in medizinischen Berufen oder bei Bestattern eine wichtige Rolle spielt, doch auch hier gibt es große individuelle Unterschiede.

Zu welchem Zweck sich die Fähigkeit zum Ekel im Laufe der Evolution herausgebildet hat, steht nicht eindeutig fest. Einige Wissenschaftler wie Paul Rozin halten eine starke Abwehrreaktion auf ungenießbare Substanzen für den Ursprung der Emotion. Auch die Psychologin Anne Schienle vermutet, dass der Ekel im Zusammenhang mit dem Würgereflex entstanden ist, der dazu dient, die Aufnahme ungenießbarer oder gesundheitsschädlicher Nahrung zu verhindern (siehe auch Evolutionäre Emotionsforschung). Nach dieser Theorie sind Ekelreaktionen erst später als Schutzmechanismus auch auf Substanzen wie Körperprodukte und Gerüche ausgeweitet worden.

Weltweit am häufigsten als ekelerregend bezeichnet werden Leichen, offene Wunden, Körperprodukte wie Kot, Urin oder Eiter, der Geruch verdorbener Lebensmittel und bestimmte Tiere wie Würmer und Ratten oder Entwicklungsformen wie Maden. Die Ausprägung der Ekelgefühle gegenüber diesen Objekten differiert jedoch in verschiedenen Kulturen und war nach Ansicht von Kulturwissenschaftlern in Europa in früheren Zeiten deutlich geringer ausgeprägt als heute.

Synthetischer Schleim (Slime)

Wissenschaftliche Experimente belegen, dass Assoziationen eine wesentliche Rolle beim Entstehen von Ekelgefühlen spielen. Viele Studienteilnehmer weigerten sich, eine Suppe zu essen, die zuvor mit einem fabrikneuen Kamm umgerührt wurde. Auch Orangensaft, der in einer neuen sterilen Urinflasche angeboten wurde, löste Ekel aus. Dasselbe gilt für Schokoladenpudding, der in der Form von Hundekot auf dem Teller angerichtet worden war – viele wollten ihn nicht essen, obwohl ihnen klar war, dass es sich um Pudding handelte.[4] Die Ekelgefühle wurden nachweislich nicht durch die Qualität der Speisen, sondern nur durch die negativen Assoziationen zu Gegenständen bzw. Objekten ausgelöst.

Echte Ekelreaktionen sind nach Auffassung der meisten Forscher bei Tieren nicht zu beobachten, obwohl sie auf unangenehme Geschmacksreize deutlich erkennbar reagieren und die meisten Tierarten Unbekömmliches durch einen Würgereflex ebenso wie Menschen erbrechen können. So wie bei vielen Menschen führt Übelkeit nach dem Genuss eines Lebensmittels zur Entwicklung einer dauerhaften Abscheu gegenüber dieser Speise. Ein ähnlicher Effekt wurde in einem Experiment bei Wölfen und Kojoten beobachtet, an die man präpariertes Schaffleisch verfüttert hatte, das heftige Übelkeit erregte. Sobald diese Tiere danach Schafe sahen, flohen sie oder zeigten typisches Unterwerfungsverhalten.[6] Dieses ausgeprägte Meidungsverhalten interpretieren einige Forscher als Ekel, während andere es als Konditionierung aufgrund der experimentell verursachten Geschmacksaversion auffassen.[7]

Zu etlichen weiteren Theman siehe auch

Siehe auch

Literatur

  • Norbert Elias: Über den Prozeß der Zivilisation. Bd. 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-518-07758-9.
  • Hans Magnus Enzensberger (Hrsg.): Ekel und Allergie. Rowohlt, Berlin 1997, ISBN 3-87134-129-0 (Kursbuch. Nr. 129)
  • Rachel Herz. (2012). That’s disgusting: Unraveling the mysteries of repulsion. New York, NY, US: W W Norton & Co., ISBN 978-0-393-34416-5
  • Hermes A. Kick (Hrsg.): Ekel. Darstellung und Deutung in den Wissenschaften und Künsten. Schriften zur Psychopathologie, Kunst und Literatur. Nr. 7. Pressler, Hürtgenwald 2003, ISBN 3-87646-101-4[8]
  • Annette Kluitmann: "Es lockt bis zum Erbrechen." Zur psychischen Bedeutung des Ekels. In: Forum der Psychoanalyse. Bd. 15, Heft 3, 1999, ISSN 0178-7667, S. 267–281.
  • Aurel Kolnai: On Disgust. Open Court, La Salle (Illinois) 2004, ISBN 0-8126-9566-6[9]
    • in Deutsch: Beiträge zur Phänomenologie des ästhetischen Genusses. Beigefügt: Der Ekel. Aus: Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, 1 bzw. (Beifügung) 10, 1929. Hg. Moritz Geiger. 2. Auflage. Max Niemeyer, Tübingen 1974, ISBN 3-484-70116-1.
  • Till R. Kuhnle: Der Ernst des Ekels. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. 39, 1996, ISSN 0003-8946, S. 268–325.
  • Till R. Kuhnle: Der Ekel auf hoher See. Begriffsgeschichtliche Untersuchungen im Ausgang von Nietzsche. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. 42, 1999, ISSN 0003-8946, S. 161–261.
  • Winfried Menninghaus: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-29234-X.
  • William Ian Miller: The Anatomy of Disgust. Harvard University Press, Cambridge 1997, ISBN 0-674-03155-5.
  • Lothar M. Penning: Kulturgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Aspekte des Ekels. Universität Mainz, 1984 (Dissertation)
  • Christine Pernlochner-Kügler: Körperscham und Ekel: wesentlich menschliche Gefühle. Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-7492-3 (Philosophie. Bd. 51)
  • Robert Rawdon Wilson: The Hydra's Tale. Imagining Disgust. University of Alberta Press, Edmonton 2002, ISBN 0-88864-368-3.
  • Friedrich Pohlmann. Ekel. Phänomenologie eines starken Gefühls. SWR2, Radio-Essay, Mai 2017. (Manuskript)

Weblinks

Commons-logo.png Commons: Ekel - Weitere Bilder oder Audiodateien zum Thema
 Wiktionary: Ekel – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen
 Wikiquote: Ekel – Zitate

Einzelnachweise

  1. Hochspringen  Valerie Curtis, Mícheá l de Barra, Robert Aunger: Disgust as an adaptive system for disease avoidance behaviour. In: Philosophical Transactions of the Royal Society. 366, 3. Januar 2011, S. 389–401, doi:10.1098/rstb.2010.0117. online lesen (PDF, 343 kB)
  2. Hochspringen Lothar Penning, Kulturgeschichtliche und sozialwissenschaftliche Aspekte des Ekels, 1984 (vgl. Dissertation, S. 2).
  3. Hochspringen nach: 3,0 3,1 Skript von Bernd Reuschenbach (PDF; 249 kB)
  4. Hochspringen nach: 4,0 4,1 Rolf Degen: Nicht nur Verdorbenes macht Angst, in: Tabula 02/2005 (Memento vom 9. August 2006 im Internet Archive)
  5. Hochspringen Tom Simpson: The Development of Food Preferences and Disgust, Skript 1994
  6. Hochspringen Rolf Degen: Wenn das Essen hochkommt, in: Tabula 02/2005
  7. Hochspringen Bruce Bower: Forbidden flavors: scientists consider how disgusting tastes can linger surreptitiously in memory, in: Science News, 29. März 1997 (Memento vom 8. Juli 2012 im Webarchiv archive.is)
  8. Hochspringen Autoren: Werner Kübler, Gisela C. Fischer, Manfred Oehmichen, Johann Glatzel, Franz Kohl, Ulrich Diehl, Matthias Hurst, Knut Eming, Pia Daniela Volz, Thomas Anz, Birgit Harreß, Wolfram Schmitt und der Hg. zu: Ekel in der Klinik, Ernährungsphysiologische und pflegerische Perspektiven; unter den Fragestellungen von Rechtsmedizin, Psychopathologie und Psychodynamik; Ekel in der Literatur, Kunst, im Film, in Ästhetik und Philosophie
  9. Hochspringen enthält auch: The Standard Modes of Aversion: Fear, Disgust, and Hatred. Dieser Text wurde in Deutsch auch gesondert bei Suhrkamp, 2007, UT: Zur Phänomenologie feindlicher Gefühle. In: Aurel Kolnai: Ekel. Suhrkamp , 2007, ISBN 978-3-518-29445-1.


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