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Naturwissenschaften

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Als Naturwissenschaften werden zusammenfassend all jene Wissenschaften bezeichnet, die sich der Erforschung der belebten und unbelebten Natur widmen. Ihre Hauptdisziplinen sind: Physik, Chemie, Biologie und Geologie. Methodisch streben die gegenwärtigen Naturwissenschaften dabei, unter weitgehender Abstreifung der unmittelbar erfahrbaren Sinnesqualitäten, nach einer möglichst quantitativen Erfassung der Natur und ihrer Abbildung durch ein mathematisches Modell.

Die von Rudolf Steiner propagierten Goetheanistischen Naturwissenschaften streben demgegenüber nach einer rein qualitativen Erklärung der gesetzmäßigen Zusammenhänge der unmittelbar sinnlich gegebenen Naturphänomene. Komplexere Phänomene werden dabei entweder auf unmittelbar einsehbare grundlegende Urphänomene zurückgeführt oder durch Metamorphose ineinander übergeführt. Musterbeispiele dafür sind Goethes Farbenlehre und dessen Metamorphosenlehre.

Naturwissenschaft und Geisteswissenschaft

„Also darum kann es sich nicht handeln, daß wir etwa einen Strich machen gegenüber der gewöhnlichen sinnenfälligen empirischen Wissenschaft und aus geistigen Wolkenkuckucksheimen herunter eine Geisteswissenschaft begründen. So ist es gar nicht gegenüber den empirischen Wissenschaften, das heißt demjenigen, was man heute empirische Wissenschaften nennt, was ich hier sinnenfällig-empirische Wissenschaft nennen möchte. So ist es gar nicht. Sie können zum Beispiel, wenn Sie geisteswissenschaftlich forschen, nicht etwa auf dasselbe kommen, was Sie mit dem Mikroskop erforschen. Sie können ruhig jemanden, der Ihnen den Glauben beibringen will, daß er aus der Geisteswissenschaft heraus dasselbe finden kann, was man unter dem Mikroskop findet, als einen Scharlatan auffassen. Das ist nicht so. Dasjenige, was empirische Forschung in heutigem Sinne gibt, besteht. Und um die Wissenschaft auch im Sinne geisteswissenschaftlicher Anthroposophie vollständig zu machen auf irgendeinem Gebiete, dazu ist nicht etwa ein Hinwegräumen des sinnenfällig Empirischen statthaft, sondern es ist durchaus ein Rechnen mit dieser sinnenfälligen Empirie notwendig. Nirgends wird derjenige, der, wenn ich mich dieses Ausdruckes bedienen darf, in anthroposophischer Geisteswissenschaft Fachmann ist, etwas anderes finden, als daß man dadurch, daß man Geisteswissenschaft treibt, erst recht sich im Sinne des sinnenfällig Empirischen mit den Erscheinungen der Welt befassen muß.“ (Lit.:GA 314, S. 81)

Naturwissenschaft, Mathematik und Phänomenalismus

„Wir treiben heute Naturwissenschaft, indem wir uns bewusst sind, wir verbinden dasjenige, was wir im Raum und in der Zeit durch die Beobachtung und durch das Experiment erkunden, mit demjenigen, was uns die Mathematik durch reine Innenanschauung erkennen lässt, und gerade dadurch fühlen wir uns in der wissenschaftlichen Gewissheit, dass wir imstande sind, etwas, was so sehr menschliche Innenerkenntnis ist, menschliches Innenerlebnis ist wie das Mathematische, dass wir das gewissermaßen verweben mit demjenigen, was uns Beobachtung und Experiment gibt. Indem wir durch die mathematische Gewissheit, die uns gegeben ist im reinen Innenerleben, umspannen dasjenige, was uns von außen kommt, fühlen wir, dass wir in einer Verbindung stehen mit diesem Äußeren im Erkenntnisprozess, die uns genügt, um wissenschaftliche Gewissheit zu erleben.

Und so sind wir immer mehr und mehr dazu gelangt, gerade von naturwissenschaftlichen Voraussetzungen ausgehend, die Exaktheit des Wissenschaftlichen darinnen zu sehen, dass wir dasjenige, was wir in wissenschaftlicher Arbeit tun, mathematisch uns rechtfertigen.

Warum tun wir das? Warum wir es tun, das liegt eigentlich schon darinnen, meine sehr verehrten Anwesenden, meine verehrten Kommilitonen, das liegt eigentlich schon in dem, was ich eben gesagt habe, es liegt darinnen, dass wir, indem wir Mathematik treiben, lediglich mit dem Erleben unseres eigenen Seelischen betätigt sind, dass wir ganz in uns bleiben.

Ich glaube, dass diejenigen, welche sich im Speziellen den mathematischen Studien ergeben haben, mir recht geben werden, wenn ich sage: In bezug auf das innere Erlebnis ist das Mathematische, Mathematiktreiben etwas, was viel mehr für den, der es aus innerer Fähigkeit und Anlage, aus innerem Enthusiasmus, möchte ich sagen, treibt, viel mehr Befriedigung geben kann als alles übrige Erkennen der Außenwelt, einfach aus dem Grunde, weil man Schritt für Schritt unmittelbar verbunden ist mit demjenigen, was man als wissenschaftliches Ergebnis hat, und wenn man dann in der Lage ist, dasjenige, was einem von außen entgegentritt, zu verbinden mit demjenigen, dessen ganzen Aufbau man kennt, dessen ganzen Aufbau man selber gemacht hat, so fühlt man eben in dem, was zuletzt aus dem Verwobensein von äußerlich Gegebenem und mathematisch Erarbeitetem auftritt wissenschaftlich, in dem fühlt man dann das, was man als auf sicherer Grundlage fußend ansehen kann.

Deshalb also, weil unsere Wissenschaft uns gestattet, das Äußere mit einem innerlich Erlebten in der Mathematik zu verbinden, deshalb erkennen wir dieses Wissenschaftliche insofern an im Kantischen Sinne, als Mathematik darinnen ist.

Nun, meine verehrten Anwesenden, damit aber ist zu gleicher Zeit der Weg eröffnet für eine ganz bestimmte Auffassung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, und diese Auffassung der naturwissenschaftlichen Weltanschauung, sie wird eben gerade in ihren Konsequenzen verfolgt vom anthroposophischen Forschen. Denn was liegt denn eigentlich schon darinnen in dem, dass wir zu einer solchen Auffassung unseres wissenschaftlichen Erkennens gekommen sind? Darinnen liegt die Anerkennung dessen, dass wir unser Denken innerlich ausbilden wollen, und indem wir es innerlich ausbilden, zu einer Gewissheit kommen, und es dann verwenden, um die äußeren Phänomene, um die äußeren Tatsachen gesetzmäßig zu verfolgen.

Dieses Prinzip verfolgt nun auf dem Gebiete, wo es angemessen ist, gerade die Anthroposophie, indem sie sich hinwendet zu dem, was ich nennen möchte: den reinen Phänomenalismus in bezug auf ein gewisses Gebiet der äußeren Naturwissenschaft, in bezug auf Mechanik, Physik, Chemie, in bezug auf alles dasjenige, was zunächst nicht bis zum Leben heraufdringt. Im extremsten Sinne wird dieser Phänomenalismus von uns festgehalten auf den Gebieten, die über dem Leblosen liegen, aber wir werden gleich sehen, inwiefern er da ergänzt werden muss durch etwas wesentlich anderes.

Man kommt nämlich nach und nach dazu, indem man gerade das mathematische Verhältnis zur Außenwelt sich vergegenwärtigt, man kommt nach und nach dazu, sich zu sagen, dass das Denken überhaupt zunächst in unorganischen Wissenschaften nur einen dienenden Charakter haben kann, dass wir nirgends berechtigt sind, von unseren Gedanken auch selber etwas in die Welt hineinzutragen, wenn wir reine Wissenschaft haben wollen. Das aber führt zu dem, was Phänomenalismus genannt werden darf und was in seiner Art, wenn es auch im einzelnen vielfach getadelt werden kann, was in seiner Art am reinsten doch Goethe verfolgt hat.

Was ist dieser Phänomenalismus? Er besteht darin, dass man die Phänomene, gleichgültig ob durch Beobachtung oder durch Experiment, rein auffasst, so wie sie sich sinnenfällig ergeben, und dass man das Denken nur dazu verwendet, um die Phänomene in gewissem Zusammenhang zu schauen, die Phänomene aufzureihen und so dazu zu kommen, dass sich die Phänomene selber erklären.

Damit aber wird ausgeschaltet zunächst aus der reinen Naturwissenschaft alles dasjenige, was Hypothesen nicht bloß als Hilfskonstruktionen auffasst, sondern was Hypothesen so auffasst, als ob sie etwas geben könnten über das Wirkliche. Wenn man bei dem reinen Phänomenalismus stehenbleibt. So ist man zwar berechtigt, dasjenige, was einen aus der Beobachtung und dem Experiment heraus selber dazu führt, eine atomistische Struktur, sei es in der materiellen, sei es in der Kräftewelt, anzunehmen, aber diese Tendenz zur atomistischen Struktur nur insoweit gelten zu lassen, als man sie phänomenalistisch verfolgen kann, als man sie an dem Phänomen beschreiben kann.

Gegen dieses Prinzip sündigt diejenige wissenschaftliche Weltanschauung, welche eine Atomistik konstruiert, die hinter den sinnlich verfolgbaren Phänomenen Tatsächliches konstatiert, das nicht in die Welt der Phänomene selbst hereinfallen kann, in dem Augenblick, wo man die Welt der Farben, zum Beispiel, die vor uns ausgebreitet ist, nicht einfach so verfolgt, dass man die Farbenerscheinung selber an die andere Farbenerscheinung reiht, um dadurch zum gesetzmäßigen Zusammenhang des Farbigen zu kommen, sondern wenn man von dem Phänomen auf etwas Dahinterliegendes geht, das eben nicht bloß etwa eine Hilfskonstruktion sein kann, sondern ein Reales statuieren soll, wenn man dazu übergeht, Schwingungen oder dergleichen im Äther anzunehmen, dann dehnt man das Denken über das Phänomen aus, gewissermaßen man durchstößt aus einer gewissen Trägheit des Denkens heraus den Sinnesteppich und man statuiert hinter dem Sinnesteppich eine Art von wirbelnden Atomen oder dergleichen, wozu gar keine Veranlassung bei einem sich selbst verstehenden Denken vorliegt, das nur Diener sein will für die Aufreihung der Phänomene aneinander, für den immanenten gesetzmäßigen Zusammenhang in den Phänomenen, das aber nicht kann irgendetwas aussagen gegenüber der äußeren Sinnenwelt, was hinter dieser Sinnenwelt liegen würde.

So aber zieht gerade die Anthroposophie die letzte Konsequenz, zu der eigentlich alles hintendiert in der modernen Naturwissenschaft. Wir sind sogar in dieser modernen Naturwissenschaft in der letzten Zeit in hohem Masse zu einer zwar theoretisch noch wenig zugegebenen, aber praktisch angewandten Ausbildung dieses Phänomenalismus gekommen, indem man sich einfach um die hypothetischen Atomwelten und dergleichen nicht kümmert und innerhalb der Phänomene stehenbleibt.“ (Lit.: Steiner 1922)

Naturwissenschaft, Technik und Bewusstseinsseele

Indem die Naturwissenschaften und die Technik den Blick ausschließlich auf das Tote richtet, fördern sie die Entwicklung der Bewusstseinsseele. Gerade durch die Abbau- und Sterbekräfte wird das Bewusstsein geweckt. Das naturwissenschaftlich-technische Denken, das in alle Lebensbereiche eindringt, ist daher trotz all der damit verbundenen Probleme ein notwendiger Entwicklungsfaktor unseres gegenwärtigen Bewusstseinsseelenzeitalters. Um dieses Erwachen der Bewusstseinsseele zu fördern, mussten die Naturwissenschaften auch vom bloßen Beobachten zum Experiment übergehen, bei dem alle Bedingungen genau kontrolliert werden können. Dabei wird der Mensch allerdings noch weiter aus den lebendigen Naturzusammenhang herausgerissen.

„Nun, naturwissenschaftlich denken, da liegt gerade dasjenige, was man so recht ins Auge fassen muß, wenn man gewissermaßen vom Gesichtspunkte des fünften nachatlantischen Zeitraums, des Bewußtseinsseelenzeitalters, einbrechen will in die wahre Wirklichkeit der menschlichen Entwickelung. Diese neuere naturwissenschaftliche Denkweise hat das Eigentümliche — ich habe es jetzt hinlänglich hier charakterisiert —, daß sie nur das Tote, das Gespenstische fassen kann von der Wirklichkeit, daß sie überall auf das Tote geht. Seien wir uns ganz klar über diese wichtige Tatsache. Die neuere naturwissenschaftliche Denkweise strebt von der Beobachtung zum Experiment. Auf allen Gebieten wird von der Beobachtung zum Experiment gestrebt. Es ist ein wichtiger Unterschied zwischen der Naturbeobachtung und jener Erkenntnis, die durch das Experiment erwiesen wird. Die Naturbeobachtung war, so oder so nuanciert, allen Zeiten eigen. Aber wenn der Mensch die Natur beobachtet, da ist er mit der Natur verbunden, da lebt er sich in die Natur ein, er lebt das Leben der Natur mit. Da tritt das Eigentümliche ein, daß ihn sein Zusammenleben mit der Natur in einer gewissen Weise betäubt. Man kann nicht mit der Natur leben und zu gleicher Zeit im neueren Sinne der Bewußtseinsseele erkennen. Man kann nicht beides, geradesowenig, wie man zugleich wachen und schlafen kann. Will man mit der Natur zusammenleben, so muß man sich von der Natur in einem gewissen Sinne betäuben lassen. Daher kann auch die Naturbeobachtung nicht eindringen in die Geheimnisse der Natur, denn indem der Mensch die Natur beobachtet, wird er ein bißchen eingeschläfert, wird er betäubt. Dadurch fällt aus seiner Erkenntnis das Geheimnis der Natur heraus. Er muß aufwachen auf dem Gebiete des Übersinnlichen, wenn er in die Geheimnisse der Natur eindringen will.

Aber wenn man betäubt ist, kann man nicht zur Bewußtseinsseele kommen. Daher strebt die neuere Naturbetrachtung ganz instinktiv danach, die Beobachtung allmählich zu überwinden und durch das Experiment alles zu gewinnen. Man sucht ja auch auf dem Gebiete der Biologie, auf dem Gebiete der Anthropologie zu experimentieren. Aber wenn man experimentiert, ist die Hauptsache dabei, daß man das Experiment zusammenstellt, daß man die Ordnung bestimmt, in welcher man beobachtet. Wie die Dinge selbst angeordnet sind, wenn man zum Beispiel Embryologie experimentell treibt, das ist nicht durch die Natur bestimmt, sondern das ist durch den menschlichen Intellekt, durch den menschlichen Verstand bestimmt, das ist durch das bestimmt, von dem ich Ihnen gesagt habe, daß es sich von der Natur entfernt, um gerade in dem Menschen innerlich zu sein. Wir ertöten die Natur, um sie erkennen zu lernen im Experiment. Aber nur das, was wir durch das Experiment gewinnen, können wir technisch anwenden. Naturerkenntnis wird erst reif zur technischen Anwendung, wenn sie auf dem Umwege durch das Experiment sich reif dazu macht. Was vorher Einführung der Naturerkenntnis ist in das soziale Leben, ist noch nicht Technik. Es wäre sogar barbarisch, von Technik zu sprechen, wenn man es nicht zu tun hat mit der reinen Umsetzung eines Experimentes in die soziale Ordnung oder in diejenigen Dinge, die im Dienste der sozialen Ordnung stehen.

Dann aber schafft die moderne Menschheit in die soziale Ordnung hinein Ergebnisse der Experimentierkunde als Technik: Totes. Und das ist das Wesentliche: Totes schaffen wir hinein in die Kolonisationsbestrebungen, Totes schaffen wir hinein, wenn wir für die Industrie unsere Maschinen bauen. Aber nicht nur dann, sondern wenn wir unsere Arbeiter in einer gewissen sozialen Ordnung zu diesen Maschinen hinzubringen. Totes schaffen wir hinein in unsere neuere geschichtliche Ordnung, indem wir unsere Finanzwirtschafl über kleinere oder größere Territorien ausbilden. Totes schaffen wir hinein, wenn wir eine soziale Ordnung überhaupt nach dem Muster der modernen Naturwissenschaft aufbauen wollen, wie es instinktiv die moderne Menschheit getan hat. Totes schaffen wir überall hinein in das menschliche Zusammenleben, wenn wir Naturwissenschaft hineinschaffen in dieses menschliche Zusammenleben, Totes, sich selbst Ertötendes.

Das ist eines der wichtigsten Symptome. Wir können sehr aufrichtige und ehrliche Deklamationen anstellen — ich meine jetzt nicht bloß rhetorische Deklamationen, sondern eben ehrlich gemeinte Deklamationen - über die großen Errungenschaften der neueren Zeit, über all dasjenige, was Naturwissenschaft ausgebildet hat, was sie der Technik einverleibt und dann dem sozialen Leben einverleibt hat. Aber wir sagen nur eine halbe Wahrheit, wenn wir von diesen Errungenschaften sprechen, denn alle diese Errungenschaften haben das Wesentliche in sich, daß sie ein unbedingt Totes, das durch sich selber nicht entwickelungsf ähig ist, in das moderne Leben hineinstellen. Das Größte, was seit Jahrhunderten, seit dem 15. Jahrhundert hineingestellt worden ist in die Entwickelung der modernen zivilisierten Menschheit, ist ein solches, das, wenn es sich selbst überlassen wird, sich selber zum Tode führt. Und das mußte sein. Denn man kann die Frage auf werfen: Wenn moderne Technik Keim des Todes nur ist, wie sie es auch ist und sein muß, warum trat diese moderne Technik in Erscheinung? — Wahrhaftig nicht trat die moderne Technik in Erscheinung im Laufe der Zeit, weil den Menschen das Schauspiel der Maschine und der Industrie gegeben werden sollte, sondern die moderne Technik trat in Erscheinung aus einem ganz anderen Grunde. Sie trat in Erscheinung gerade wegen ihres zum Tode führenden Charakters, weil nur dann, wenn der Mensch hineingestellt ist in eine tote, mechanische Kultur, er durch den Gegenschlag die Bewußtseinsseele entwickeln kann. Solange der Mensch hineingestellt war in ein Zusammenleben mit der Natur, ohne daß die Maschinen hineingestellt waren, solange wurde er geneigt gemacht zu einer gewissen suggestiven Behandlung, weil er bis zu einem gewissen Grade betäubt wurde. Man konnte nicht ganz auf sich selbst sich stellen, als man noch nicht in den Tod hineingestellt war. Auf sich selbst gestelltes Bewußtsein und Todbringendes ist innig miteinander verwandt. Das habe ich in den verschiedensten Formen schon versucht, den Menschen klarzumachen. Ich habe versucht, den Menschen klarzumachen: Wenn sie vorstellen und erkennen, so ist das nicht gebunden an die sprießenden, sprossenden Kräfte des Menschen, sondern gerade an den Abbau des Organismus. Ich habe versucht, den Menschen klarzumachen, daß es Rückbildung des Organismus ist, daß es die Abbau- und Sterbeprozesse sind, die uns befähigen, im selbstbewußten Sinne zu denken. Könnten wir nicht Gehirnhunger entwickeln, das heißt Abbauprozesse, Zersetzungsprozesse, Zerstörungsprozesse in uns, wir könnten keine gescheiten Menschen sein, sondern könnten nur hintaumelnde Menschen sein, schlafende, träumende Menschen. Gescheite Menschen sind wir durch die Abbauprozesse in unserem Gehirn. Und das Zeitalter der Bewußtseinsseele mußte dem Menschen die Gelegenheit geben, den Abbau in seiner Umgebung zu haben. Nicht dadurch wurde das moderne, selbstbewußte Denken groß, daß blühende Lebensprozesse hereingestellt wurden, sondern dadurch wurde gerade das Innerste im Menschen, das selbstbewußte Denken groß, daß Todesprozesse in der modernen Technik, in der modernen Industrie, im modernen finanziellen Zusammenhang in dieses Leben hereingestellt wurden. Denn das forderte dieses Leben in der Bewußtseinsseele.“ (Lit.:GA 185, S. 65ff)

Grenzen des naturwissenschaftlichen Weltbildes

Das wirklich Bedeutsame der zeitgenössischen Naturwissenschaft, sind, wie Rudolf Steiner betonte, nicht die Antworten, die sie gibt, sondern die Fragen die sie aufwirft, nämlich die Fragen nach dem Wesen des Menschen, der im naturwissenschaftlichen Weltbild in Wahrheit gar nicht vorkommt. Seit Rudolf Steiner auf diesen Umstand in einem Vortrag am 16. Oktober 1916 in Liestal[1] hingewiesen hat, sind diese Fragen noch um vieles drängender, aber auch um einiges klarer geworden.

„Man konnte sich noch vor kurzem dem Glauben hingeben, daß die Naturwissenschaft - die wahrhaftig von Geisteswissenschaft nicht verkannt wird, sondern gerade in ihren großen Fortschritten voll gewürdigt und bewundert wird - die großen Rätsel des Menschendaseins mit ihren Mitteln lösen werde. Allein derjenige, der mit vertieften Seelenkräften sich einlebt in die Errungenschaften der neueren Naturwissenschaft, der wird immer mehr und mehr gewahr, daß für die höchsten Fragen des Menschendaseins dasjenige, was die Naturwissenschaft bringt, nicht Antworten sind, sondern im Gegenteil immer neue und neue Fragen. Es bereichert das Leben des Menschen, diese Fragen jetzt stellen zu können; aber sie bleiben auf dem Boden der Naturwissenschaft eben Fragen, Die Menschen des 19. Jahrhunderts, auch die Gelehrten, haben das viel zu wenig berücksichtigt. Sie haben geglaubt, Antworten zu bekommen auf gewisse Rätselfragen, während in Wahrheit diese Fragen in einer neuen Art gestellt werden mußten. Diese Fragen werden nun sozusagen uns anerzogen. Sie sind in der Seele des gegenwärtigen Menschen da, wenn er sich in das Leben hineingestellt findet, und sie verlangen Antworten.“ (Lit.:GA 35, S. 229f)

„Von der Naturwissenschaft kann man, wenn man wirklich in ihren Sinn eindringt, sagen: Sie führt zu einem Bilde von der Welt, in welchem das Wesentliche des Menschen gar nicht vorkommen kann. Indem ich dieses ausspreche, rede ich nicht von meiner Ansicht, sondern von dem, was die unbefangene Betrachtung der naturwissenschaftlichen Forschung jetzt schon mit aller Deutlichkeit erkennen läßt, und über das sich nur das Zeitalter noch täuschen konnte, das zwar die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse mit Recht bewundern durfte, ihre Grenzen aber noch nicht anerkennen konnte. Einzelne Naturforscher haben das Richtige in gewissen Grenzen längst erkannt; und berühmt geworden ist ja jene Rede, welche Du Bois-Reymond in den siebziger Jahren in Leipzig gehalten hat, und die geschlossen hat mit dem Ignorabimus: Wir werden niemals wissen. Dieser bedeutende Forscher meinte: Wenn man noch so sehr die Geheimnisse der Natur mit den naturwissenschaftlichen Methoden erforscht, so findet man zuletzt niemals die Möglichkeit, dasjenige zu erkennen, was als Bewußtsein in der Menschenseele lebt, ja, man findet nicht einmal die Möglichkeit zu verstehen, was der Materie selbst zu Grunde liegt. Naturwissenschaft taugt nicht dazu, Materie und Bewußtsein, gewissermaßen die beiden Enden des Menschenlebens, zu verstehen. Man kann sagen, die Naturwissenschaft habe gewissermaßen den Menschen als geistiges Wesen herausgedrängt aus dem Weltbilde, an dem sie arbeitet.“ (S. 233f)

Wirklichkeitsverlust in den Naturwissenschaften

„Nehmen Sie alles, was man durch die Naturwissenschaft wissen kann: es gibt dem Menschen keine Vorstellungen von Wirklichkeit. Die Natur selbst mit ihrer wahren Wesenheit lebt nicht in den Vorstellungen der Naturwissenschaft von heute, und nach der Naturwissenschaft haben sich die anderen Wissenschaften gebildet. Was in diesen Vorstellungen lebt, ist nicht die Natur, das ist ein Gespenst der Natur. Gerächt hat sich der Weltengeist an den gegenwärtigen Menschen, die nicht mehr an eine Geisteswelt glauben wollen, so daß die gegenwärtige Menschheit in den furchtbaren Aberglauben verfallen ist, das Gespenst der Naturwissenschaft als reale Wissenschaft zu nehmen. Gespenstergläubig sind heute gerade diejenigen, die sich Monisten, naturwissenschaftlich Gebildete nennen. Und wodurch könnten diese Gespenster der Welt zur Wirklichkeit werden?

Das könnte dadurch geschehen, daß man in sich in allem Ernste den künstlerischen Sinn so entwickelt, wie ihn Goethe seiner Nation anerziehen wollte, wenn man das aufnehmen könnte, was auflebt in einem produktiven Anschauungsvermögen - Goethe nannte es «anschauende Urteilskraft» -, wenn man auflösen könnte das Gespenstige des Naturanschauens in der produktiven schaffenden Kraft des Geistes. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wird diese schaffende Kraft des Geistes im deutschen Geistesleben so behandelt wie in meinem Märchen in dem einen Mysteriendrama die Phantasie von dem wilden Manne, der an diese Phantasie herankommt. So leben wir mit unsern Vorstellungen heute als Menschen in einer gespenstigen Welt, sind abergläubisch, ohne daß wir es wissen, spotten über den Aberglauben anderer und sind dabei dreimal so stark in diesen Aberglauben verstrickt als die, welche wir als abergläubische Leute verspotten.“ (Lit.:GA 192, S. 213)

Siehe auch

Literatur

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Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rudolf Steiner: Das menschliche Leben vom Gesichtspunkte der Geisteswissenschaft (Anthroposophie), GA 35, S. 225ff