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Märchen

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Theodor Hosemann, Illustration zu dem Märchen: Die Hochzeit eines jungen Königspaares begleitet von Engeln und Zwergen. Aquarell über schwarzem Stift, auf Velin.
Ägyptische Sphinx
Schneeweißchen und Rosenrot, Darstellung von Alexander Zick
Der Prinz an Schneewittchens Glassarg, Illustration von Alexander Zick (1886)

Märchen (mhd. maere „Kunde, Bericht, Nachricht“) sind auf den ersten Blick fantastisch erscheinende Geschichten, in denen aber vielfach Nachklänge des alten naturhaften Hellsehens zu finden sind. Sie können wie die Mythen Ausdruck geistiger Wahrheiten sein.

Märchen als Reste des alten Hellsehens

„Die Märchen sind nirgends ausgedacht, sind die letzten Reste des alten Hellsehens, die von den Menschen, welche noch die Kräfte dafür hatten, im Traume erlebt waren. Was im Traume gesehen wurde, das wurde erzählt, so wie das Märchen vom gestiefelten Kater, das nur eine Umbildung ist des Märchens, das ich Ihnen heute erzählte. Alle Märchen waren schließlich vorhanden als letzte Reste des ursprünglichen Hellsehens. Daher kann ein wirkliches Märchen nur entstehen, wenn - entweder bewußt oder unbewußt - in der Seele des Märchendichters die Imagination vorhanden ist, die sich hineinprojiziert in die Seele, sonst ist es nicht richtig. Ein beliebig ausgedachtes Märchen kann nie richtig sein. Wenn heute noch da oder dort durch irgendeinen Menschen ein wirkliches Märchen entsteht, so entsteht es auch nicht anders als dadurch, daß in dem Menschen die Sehnsucht erwacht nach den alten Zeiten, welche die Menschheit einstmals durchgemacht hat. Diese Sehnsucht ist vorhanden, nur schleicht sie sich manchmal in gar verborgene Seelentiefen ein, und der Mensch verkennt in dem, was er bewußt schaffen kann, oft sehr, wie vieles aus den verborgenen Tiefen des Seelenlebens heraufkommt, und wie vieles nur durch das entstellt ist, was der Mensch mit seinem gegenwärtigen Bewußtsein machen kann.“ (Lit.:GA 127, S. 207f)

In der urindischen Kultur war das alte Hellsehen noch weit verbreitet. Es ist daher nicht verwunderlich, ...

„... daß weitaus die größte Zahl aller Märchen, Sagen und Fabeln eigentlich ursprünglich auf Indien zurückführen. Wenn Sie die Tierfabeln und sonstigen Märchenerzählungen der verschiedensten Länder Europas durchgehen, so werden Sie zwar kleinere oder größere Veränderungen vorfinden, Sie werden aber sehen, daß der Grundstock vieler europäischer Märchen sich in den alten indischen Büchern findet. Das ist für uns nicht zu verwundern, da doch die Kulturen gemeinsam zur fünften Wurzelrasse gehören, die sich von der Wüste Gobi über Ägypten und Griechenland nach Europa herüber verbreitete.“ (Lit.:GA 92, S. 45)

Die bedeutenste indische Märchensammlung ist das Panchatantra, das allerdings nicht vor dem 3. Jahrhundert v. Chr. entstanden ist, und viele volkstümliche Tierfabeln enthält. Im 6. Jahrhundert war das Panchatantra bereits so beliebt, dass es ins Pahlavi übersetzt wurde. Über persische und arabische Übersetzungen kam die Sammlung im 13. Jahrhundert nach Europa und war gegen Ende des 15. Jahrhunderts an den meisten europäischen Fürstenhöfen bekannt.

Luzifer und Ahriman

Alle Märchenmotive hängen letztlich mit dem Verhältnis des Menschen zu den luziferisch-sphinxartigen und zu den mephistophelisch-ahrimanischen Kräften zusammen:

„Sagen und Märchen, die so unverständig von den Gelehrten unserer Gegenwart betrachtet werden, weisen ihrer Struktur nach entweder nach dem Mephistophelischen, dem Ahrimanischen hin, oder nach dem Sphinxartigen, dem Luziferischen. Alle Sagen und Märchen rühren davon her, daß ihr Inhalt ursprünglich entweder durch das Verhältnis, das der Mensch zur Sphinx hat, erlebt worden ist oder durch das Verhältnis, das der Mensch zu Mephisto hat. In den Sagen und Märchen finden wir mehr oder weniger verborgen auftreten entweder das Fragemotiv: das ist das Sphinxmotiv, das Motiv, daß irgend etwas gelöst werden muß, daß eine Frage beantwortet werden muß, oder das Motiv der Verzauberung, des Gebanntseins an irgend etwas: das ist das mephistophelische, das ahrimanische Motiv. Denn worin besteht das ahrimanische Motiv im genaueren? Es besteht darin, daß, wenn wir Ahriman neben uns haben, wir fortwährend in der Gefahr sind, ihm zu verfallen, in seine Natur überzugehen, uns nicht mehr losreißen zu können von ihm. Und man möchte sagen: Der Sphinx gegenüber empfindet der Mensch etwas, was in ihn eindringt und ihn gleichsam auseinanderreißt; dem Mephistophelischen gegenüber empfindet der Mensch etwas wie: er muß untertauchen in dieses Mephistophelische, er muß sich ihm verschreiben, er muß ihm verfallen.“ (Lit.:GA 158, S. 107f)

Kinder brauchen Märchen

„Es ist leicht zu sagen, die Mythen und Märchen sind Vorstellungen, die den Kindheitsstufen der Menschheit entsprungen sind. Gewiß haben die Menschen den Engeln nicht physisch gegenübergestanden, von denen die Mythen und Märchen gesprochen haben. Aber mit dem Nachdenken durch Philosophie ist in der geistigen Welt nichts anzufangen. Dieses Wissen hat keine Bedeutung in den geistigen Welten. Es ist leicht zu sagen, Märchen beruhen auf keiner Wahrheit. So gescheit ist der Geistesforscher auch immer gewesen, daß er gewußt hat, daß feurige Drachen nicht durch die physische Luft fliegen, aber gewußt hat er immer, daß die Imagination des feurigen Drachen zu bilden notwendig ist. Denn indem diese Vorstellung in der Seele ist, wirft sie Geisteslicht auf die geistige Welt. Kraftvorstellungen sind das. So sind alle Mythen beschaffen, weniger um äußerlich abzubilden, sondern um in der geistigen Welt wirklich leben zu können. Die Materialisten sagen: Mythen und Märchen entspringen der Kindheitsstufe der Menschheit. - Aber die Menschen wurden eben in ihrer Kindheit von Göttern unterrichtet. Die Mythen und Märchen gehen so in dieser Weise der Menschheitsevolution verloren, aber die Kinder sollte man nicht so aufwachsen lassen. Es ist ein großer Unterschied, ob man das Kind mit oder ohne Märchen aufwachsen läßt. Die die Seele beschwingende Kraft der Märchenbilder tritt erst später hervor. In einem Lebensüberdruß zeigt es sich später, wenn nicht Märchen gegeben wurden, in einer Langeweile. Ja sogar physisch kommt es zum Ausdruck, auch gegen Krankheiten können Märchen helfen. Was durch die Märchen hineingeträufelt wird, das kommt als Lebensfroheit, Lebenssinn später heraus, kommt als Möglichkeit, mit dem Leben fertigzuwerden, noch im spätesten Alter zum Vorschein. Es müssen die Kinder in ihrer Jugend, wo sie sie noch erleben können, erleben die Kraft des Märcheninhaltes. Wer nicht vermag mit Vorstellungen zu leben, die für den physischen Plan keine Wirklichkeit haben, der stirbt für die geistige Welt. Und viele Philosophien, die sich nur stützen wollen auf den physischen Plan, sind Sterbemittel für die Seele. Aus der äußeren Evolution werden die Sterbemittel für die geistige Welt. Die Menschheit muß kommen zu einem Urteil, das nicht gestützt ist auf Äußeres, sondern in sich selbst sich stützt. Immer mehr muß sie kommen zu dem: Ich glaube, was ich weiß.“ (Lit.:GA 154, S. 129f)

„Nun, man mag denken wie man will über den geistigen Gehalt der äußeren sinnlichen Wirklichkeit, aber Gift ist es für den werdenden Menschen, wenn er gerade in der Zeit zwischen dem 6., 7. und dem 9. Jahre nicht gerade auf märchenhafte Art die Phantasie entwickelt bekommt. Ist der Lehrer selber kein Phantast, so wird er zunächst alles dasjenige, was er an das Kind über die Umgebung des Menschen heranbringen will - das Kind unterscheidet sich ja noch nicht von der Umgebung, das tritt erst später, im 9. Jahre ein - , alles das, was er entwickelt über Tier, Pflanze, über die übrige Natur, er wird es dem Kinde in Märchenform beibringen. Wenn man nur einmal sich damit vertraut machte, welch gewaltiger Unterschied darinnen liegt, ob man dem Kinde Märchen liest oder man solche Märchen selber erst ausgestaltet! Ich bitte, lesen Sie noch so viel Märchen und erzählen Sie gelesene Märchen Ihren Kindern, sie wirken nicht so, als wenn Sie viel schlechtere Märchen selber ausgestalten und sie an die Kinder heranbringen, und zwar weil der Prozeß des Gestaltens in Ihnen - das ist ja eben das, was ich meine mit dem Lebendigen - auf das Kind nachwirkt, weil er sich wirklich dem Kinde mitteilt. Das sind die Imponderabilien des Umgangs mit dem Kinde.“ (Lit.:GA 301, S. 84f)

„Und weil das Märchen so mit dem Innersten der Seele zusammenhängt, mit dem, was so tief mit dem Innersten der Menschenseele zusammenhangend ist, deshalb ist das Märchen gerade diejenige Form der Darstellung, die für das kindliche Gemüt am angemessensten ist. Denn man darf vom Märchen sagen, es habe es dahin gebracht, das Allertiefste im geistigen Leben in der allereinf achsten Weise zum Ausdruck zu bringen. Man empfindet eigentlich nach und nach, daß es in allem bewußten künstlerischen Leben keine so große Kunst gibt als die Kunst, die den Weg vollendet von den unverstandenen Tiefen des Seelenlebens zu den reizvollen, oftmals spielerischen Bildern des Märchens.

Wenn man das Schwerstverständliche in den selbstverständlichsten Formen auszudrücken vermag, dann ist das größte Kunst, natürlichste Kunst, wesenhaft mit dem Menschen zusammenhängende Kunst. Und weil im Kinde die menschliche Wesenheit in einer noch ursprünglicheren Art mit dem Gesamtdasein, mit dem Gesamtleben zusammenhängt, deshalb braucht auch das Kind als Nahrung für seine Seele das Märchen. Freier noch kann sich im Kinde das bewegen, was geistige Kraft darstellt. Das kann noch nicht, wenn die kindliche Seele nicht veröden soll, in die abstrakten theoretischen Begriffe eingesponnen werden. Das muß noch zusammenhängen mit dem, was in den Tiefen des Daseins wurzelt.

Daher tun wir, dem Kinde für die Seele keine größere Wohltat, als wenn wir auf seine Seele wirken lassen, was so Menschen-Wurzeln mit Daseins-Wurzeln zusammenbringt. Weil das Kind noch an der eigenen Gestaltung schöpferisch tätig sein muß, weil es noch die gestaltenden Kräfte selbst für sein Wachstum, für die Entfaltung aller seiner Anlagen hervorbringen muß, deshalb empfindet es so wunderbare Nahrung für seine Seele in den Bildern des Märchens, in denen es wurzelhaft mit dem Dasein zusammenhängt. Und weil der Mensch, selbst wenn er sich dem Rationalistisch- Verstandesmäßigen hingibt, doch nie von des Daseins Wurzeln losgerissen werden kann, und weil er, wenn er gerade am meisten dem Leben hingegeben sein muß, am intimsten mit des Daseins Wurzeln zusammenhängt, deshalb kehrt er, wenn er nur gesunden, geradsinnigen Gemütes ist, in jedem Lebensalter freudig zum Märchen zurück. Denn es gibt kein Lebensalter, es gibt keine menschliche Lage, die uns demjenigen entfremden könnte, was aus dem Märchen strömt, weil wir aufhören müßten mit dem Tiefsten, was mit der Menschennatur zusammenhängt, wenn wir keinen Sinn mehr für das hätten, was sich von diesem Sinn der Menschennatur, der so unverständlich ist für den Verstand, ausdrückt in den selbstverständlichen Märchen und in der selbstverständlichen, einfachen, primitiven Märchenstimmung.“ (Lit.:GA 62, S. 349ff)

Siehe auch

Literatur

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