Unsere alten Seiten bleiben vorerst hier online, werden aber nicht mehr gepflegt! Das neue AnthroWiki finden Sie wie gewohnt unter anthrowiki.at. |
Eine freie Initiative von Menschen bei anthro.wiki, anthro.world und biodyn.wiki mit online Lesekreisen, Übungsgruppen, Vorträgen ... |
![]() |
Bibliothek:Goethe/Naturwissenschaft/Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit
Johann Wolfgang Goethe
Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit
Um die Geschichte der Wissenschaften aufzuklären, um den Gang derselben genau kennen zu lernen, pflegt man sich sorgfältig nach ihren ersten Anfängen zu erkundigen; man bemüht sich zu forschen: wer zuerst irgendeinem Gegenstand seine Aufmerksamkeit zugewendet, wie er sich dabei benommen, wo und zu welcher Zeit man zuerst gewisse Erscheinungen in Betracht gezogen, dergestalt, daß von Gedanke zu Gedanken neue Ansichten sich hervorgetan, welche durch Anwendung allgemein bestätigt endlich die Epoche bezeichnen, worin das, was wir eine Entdeckung, eine Erfindung nennen, unbezweifelt zutage gekommen: eine Erörterung, welche den mannigfachsten Anlaß gibt, die menschlichen Geisteskräfte zu kennen und zu schätzen.
Vorstehender kleinen Schrift hat man die Auszeich nung erwiesen, sich nach ihrer Entstehung zu erkundigen; man hat zu erfahren gewünscht: wie ein Mann von mittlerem Alter, der als Dichter etwas galt und außerdem von mannigfaltigen Neigungen und Pflichten bedingt erschien, sich habe können in das grenzenloseste Naturreich begeben und dasselbe in dem Maße studieren, daß er fähig geworden eine Maxime zu fassen, welche, zur Anwendung auf die mannigfaltigsten Gestalten bequem, die Gesetzlichkeit aus sprach, der zu gehorchen Tausende von Einzelnheiten genötigt sind.
Der Verfasser gedachten Werkchens hat hierüber schon in seinen morphologischen Heften Nachricht gegeben, in dem er aber hier am Orte das Nötige und Schickliche bei bringen möchte, bittet er sich die Erlaubnis aus, in der ersten Person einen bescheidenen Vortrag zu eröffnen.
In einer ansehnlichen Stadt geboren und erzogen, gewann ich meine erste Bildung in der Bemühung um alte und neuere Sprachen, woran sich früh rhetorische und poetische Übungen anschlossen. Hiezu gesellte sich übrigens alles, was in sittlicher und religiöser Hinsicht den Menschen auf sich selbst hinweist. Eine weitere Ausbildung hatte ich gleichfalls größeren Städten zu danken, und es ergibt sich hieraus, daß meine Geistestätigkeit sich auf das gesellig Sittliche beziehen mußte und in Gefolg dessen auf das Angenehme, was man damals schöne Literatur nannte.
Von dem hingegen, was eigentlich äußere Natur heißt, hatte ich keinen Begriff, und von ihren soge nannten drei Reichen nicht die geringste Kenntnis. Von Kindheit auf war ich gewohnt, in wohleingerich teten Ziergärten den Flor der Tulpen, Ranunkeln und Nelken bewundert zu sehen; und wenn außer den gewöhnlichen Obstsorten auch Aprikosen, Pfirschen und Trauben wohl gerieten, so waren dies genügende Feste den Jungen und den Alten. An exotische Pflanzen wurde nicht gedacht, noch viel weniger daran, Naturgeschichte in der Schule zu lehren.
Die ersten von mir herausgegebenen poetischen Versuche wurden mit Beifall aufgenommen, welche jedoch eigentlich nur den innern Menschen schildern, und von den Gemütsbewegungen genugsame Kennt nis voraussetzen. Hie und da mag sich ein Anklang finden von einem leidenschaftlichen Ergötzen an ländlichen Natur-Gegenständen, sowie von einem ernsten Drange das ungeheure Geheimnis, das sich in stetigem Erschaffen und Zerstören an den Tag gibt, zu er kennen, ob sich schon dieser Trieb in ein unbestimm tes, unbefriedigtes Hinbrüten zu verlieren scheint. In das tätige Leben jedoch sowohl als in die Sphäre der Wissenschaft trat ich eigentlich zuerst, als der edle Weimarische Kreis mich günstig aufnahm; wo außer andern unschätzbaren Vorteilen mich der Gewinn beglückte, Stuben- und Stadtluft mit Land-, Wald- und Garten-Atmosphäre zu vertauschen.
Schon der erste Winter gewährte die raschen geselligen Freuden der Jagd, von welchen ausruhend man die langen Abende nicht nur mit allerlei merkwürdigen Abenteuern der Wildbahn, sondern auch vorzüg lich mit Unterhaltung über die nötige Holzkultur zubrachte. Denn die Weimarische Jägerei bestand aus trefflichen Forstmännern, unter welchen der Name Sckell in Segen bleibt. Eine Revision sämtlicher Waldreviere, gegründet auf Vermessung, war bereits vollbracht, und für lange Zeit eine Einteilung der jährlichen Schläge vorgesehn.
Auch die jüngeren Edelleute folgten wohlmeinend dieser vernünftigen Spur, von denen ich hier nur den Baron von Wedel nenne, welcher uns in seinen besten Jahren leider entrissen ward. Er behandelte sein Geschäft mit gradem Sinn und großer Billigkeit; auch er hatte schon in jener Zeit auf die Verringerung des Wildstandes gedrungen, überzeugt, wie schädlich die Hegung desselben nicht allein dem Ackerbau, sondern der Forstkultur selbst werden müsse.
Hier tat sich nun der Thüringer Wald in Länge und Breite vor uns auf; denn nicht allein die dortigen schönen Besitztümer des Fürsten, sondern, bei guten nachbarlichen Verhältnissen, sämtliche daranstoßen den Reviere waren uns zugänglich; zumal da auch die angehende Geologie in jugendlicher Bestrebsamkeit sich bemühte, Rechenschaft von dem Grund und Boden zu geben, worauf diese uralten Wälder sich an gesiedelt. Nadelhölzer aller Art, mit ernstem Grün und balsamischem Dufte, Buchenhaine von freudi germ Anblick, die schwanke Birke und das niedere namenlose Gesträuch, jedes hatte seinen Platz gesuchtund gewonnen. Wir aber konnten dies alles in großen, meilenweiten, mehr oder weniger wohlbestandenen Forsten überschauen und erkennen.
Auch wenn von Benutzung die Rede war, mußte man sich nach den Eigenschaften der Baumarten erkundigen. Die Harzscharre, deren Mißbrauch man nach und nach zu begrenzen suchte, ließ die feinen balsamischen Säfte in Betrachtung ziehn, die einen solchen Baum ins zweite Jahrhundert, von der Wurzel bis zum Gipfel begleiteten, ernährten, ewig grün, frisch und lebendig erhielten.
Hier zeigte sich denn auch die ganze Sippschaft der Moose in ihrer größten Mannigfaltigkeit; sogar den unter der Erde verborgenen Wurzeln wurde unsre Aufmerksamkeit zugewendet. In jenen Waldgegenden hatten sich nämlich, von den dunkelsten Zeiten her, geheimnisvoll nach Rezepten arbeitende Laboranten angesiedelt und vom Vater zum Sohn manche Arten von Extrakten und Geisten bearbeitet, deren allgemeiner Ruf von einer ganz vorzüglichen Heilsamkeit durch emsige sogenannte Balsamträger erneuert, verbreitet und genutzt ward. Hier spielte nun der Enzian eine große Rolle, und es war eine angenehme Bemühung, dieses reiche Geschlecht nach seinen verschiedenen Gestalten als Pflanze und Blüte, vorzüglich aber die heilsame Wurzel näher zu betrachten. Dieses war das erste Geschlecht, welches mich im eigentlichen Sinne anzog, dessen Arten kennen zu lernen ich auch in der Folgezeit bemüht war.
Hiebei möchte man bemerken, daß der Gang meiner botanischen Bildung einigermaßen der Geschichte der Botanik selbst ähnelte; denn ich war vom augenfälligsten Allgemeinsten auf das Nutzbare, Anwendbare, vom Bedarf zur Kenntnis gelangt, und welcher Kenner wird bei obigem sich nicht jener Epoche der Rhizotomen lächelnd erinnern?
Da nun aber gegenwärtig die Absicht bleibt zu melden, wie ich mich der eigentlichen wissenschaftlichen Botanik genähert, so hab' ich vor allen Dingen eines Mannes zu gedenken, welcher in jeder Hinsicht die Hochschätzung seiner Weimarischen Mitbürger verdiente. Dr. Buchholz, Besitzer der damals einzigen Apotheke, wohlhabend und lebenslustig, richtete mit ruhmwürdiger Lernbegierde seine Tätigkeit auf Naturwissenschaften. Er suchte sich zu seinen unmittelbaren pharmazeutischen Zwecken die tüchtigsten chemischen Gehülfen, wie denn der treffliche Göttling aus dieser Offizin als gebildeter Scheidekünstler hervorging. Jede neue, vom Aus- oder Inland entdeckte chemischphysische Merkwürdigkeit ward unter des Prinzipals Leitung geprüft, und einer wißbegierigen Gesellschaft uneigennützig vorgetragen.
Auch in der Folge, daß ich dieses zu seinen Ehren vorausnehme, als die naturforschende Welt sich eifrig beschäftigte die verschiedenen Luftarten zu erkennen, versäumte er nicht, jederzeit das Neueste experimentierend vor Augen zu bringen. So ließ er denn auch eine der ersten Montgolfieren von unsern Terrassen, zum Ergötzen der Unterrichteten, in die Höhe steigen, indessen die Menge sich vor Erstaunen kaum zu fassen wußte, und in der Luft die verschüchterten Tauben scharenweise hin und wider flüchteten. Hier aber habe ich vielleicht einem zu erwartenden Vorwurfe zu begegnen, daß ich nämlich fremde Beziehungen in meinen Vortrag mit einmische. Sei mir darauf zu erwidern erlaubt, daß ich von meiner Bildung im Zusammenhange nicht sprechen könnte, wenn ich nicht der frühen Vorzüge des Weimarischen, für jene Zeiten hochgebildeten Kreises dankbar gedächte, wo Geschmack und Kenntnis, Wissen und Dichten gesellig zu wirken sich bestrebten, ernste gründliche Studien und frohe rasche Tätigkeit unablässig miteinander wetteiferten.
Doch aber hängt, näher betrachtet, was ich hier zu sagen habe, mit dem Vorgemeldeten zusammen. Chemie und Botanik gingen damals vereint aus den ärztli chen Bedürfnissen hervor, und wie der gerühmte Dr. Buchholz von seinem Dispensatorium sich in die höhere Chemie wagte, so schritt er auch aus den engen Gewürzbeeten in die freiere Pflanzenwelt. In seinen Gärten hatte er nicht die offizinellen Gewächse nur, sondern auch seltenere, neu bekannt gewordene Pflanzen für die Wissenschaft zu pflegen unternommen. Dieses Mannes Tätigkeit lenkte der junge, schon früh den Wissenschaften sich hingebende Regent allgemeinerem Gebrauch und Belehrung zu, indem er große sonnige Gartenflächen, in der Nachbarschaft von schattigen und feuchten Plätzen, einer botanischen Anstalt widmete, wozu denn ältere wohlerfahrene Hofgärtner mit Eifer sogleich die Hand boten. Die noch vorhandenen Katalogen dieser Anstalt zeugen von dem Eifer, womit dergleichen Anfänge betrieben wurden.
Unter solchen Umständen war auch ich genötigt, über botanische Dinge immer mehr und mehr Aufklärung zu suchen. Linnés Terminologie, die Fundamente, worauf das Kunstgebäude sich stützen sollte, Johann Geßners Dissertationen zu Erklärung Linné ischer Elemente, alles in Einem schmächtigen Hefte vereinigt, begleiteten mich auf Wegen und Stegen; und noch heute erinnert mich ebendasselbe Heft an die frischen glücklichen Tage, in welchen jene gehaltreichen Blätter mir zuerst eine neue Welt aufschlossen. Linnés Philosophie der Botanik war mein tägliches Studium, und so rückte ich immer weiter vor in geordneter Kenntnis, indem ich mir möglichst anzueignen suchte, was mir eine allgemeinere Umsicht über dieses weite Reich verschaffen konnte. Besonderen Vorteil aber brachte mir, wie in allem Wissenschaftlichen, die Nähe der Akademie Jena, wo die Wartung offizineller Pflanzen seit geraumer Zeit mit Ernst und Fleiß behandelt wurde. Auch erwarben sich die Professoren Prätorius, Schlegel und Rolfink früher um die allgemeinere Botanik zeitgemäße Verdienste. Epoche machte jedoch Ruppes Flora Jenen sis, welche 1718 erschien; hiernach wurde der bis jetzt auf einen engen klösterlichen Garten eingeschränkten, bloß zu ärztlichem Zwecke dienenden Pflanzenbetrachtung die ganze reiche Gegend eröffnet und ein freies frohes Naturstudium eingeleitet. Hieran von ihrer Seite Anteil zu nehmen beeiferten sich aufgeweckte Landleute aus der Gegend, welche schon für den Apotheker und Kräuter-Händler bisher sich tätig erwiesen hatten, und eine nunmehr neuein geführte Terminologie nach und nach einzulernen wu ßten. In Ziegenhain hatte sich besonders eine Familie Dietrich hervorgetan; der Stammvater derselben, sogar von Linné bemerkt, hatte von diesem hochver ehrten Manne ein eigenhändiges Schreiben aufzuwei sen, durch welches Diplom er sich wie billig in den botanischen Adelstand erhoben fühlte. Nach seinem Ableben setzte der Sohn die Geschäfte fort, welche hauptsächlich darin bestanden, daß die sogenannten Lektionen, nämlich Bündel der jede Woche blühen den Gewächse, Lehrenden und Lernenden von allen Seiten herangeschafft wurden. Die joviale Wirksam keit des Mannes verbreitete sich bis nach Weimar, und so ward ich nach und nach mit der Jenaischen rei chen Flora bekannt.
Noch einen größern Einfluß aber auf meine Beleh rung hatte der Enkel Friedrich Gottlieb Dietrich. Als wohlgebauter Jüngling, von regelmäßig angenehmer Gesichtsbildung, schritt er vor, mit frischer Jugend kraft und Lust sich der Pflanzenwelt zu bemeistern; sein glückliches Gedächtnis hielt alle die seltsamen Benennungen fest, und reichte sie ihm jeden Augen blick zum Gebrauche dar; seine Gegenwart sagte mir zu, da ein offner freier Charakter aus Wesen und Tun hervorleuchtete, und so ward ich bewogen auf einer Reise nach Karlsbad ihn mit mir zu nehmen. In gebirgigen Gegenden immer zu Fuße brachte er mit eifrigem Spürsinn alles Blühende zusammen, und reichte mir die Ausbeute wo möglich an Ort und Stel le sogleich in den Wagen herein, und rief dabei nach Art eines Herolds die Linnéischen Bezeichnungen, Geschlecht und Art, mit froher Überzeugung aus, manchmal wohl mit falscher Betonung. Hiedurch ward mir ein neues Verhältnis zur freien herrlichen Natur, indem mein Auge ihrer Wunder genoß und mir zugleich wissenschaftliche Bezeichnungen des Einzel nen, gleichsam aus einer fernen Studierstube, in das Ohr drangen. In Karlsbad selbst war der junge rüstige Mann mit Sonnenaufgang im Gebirge, reichliche Lektionen brachte er mir sodann an den Brunnen, ehe ich noch meine Becher geleert hatte; alle Mitgäste nahmen teil, die, welche sich dieser schönen Wissenschaft beflei ßigten, besonders. Sie sahen ihre Kenntnisse auf das anmutigste angeregt, wenn ein schmucker Landknabe, im kurzen Westchen, daherlief, große Bündel von Kräutern und Blumen vorweisend, sie alle mit Namen, griechischen, lateinischen, barbarischen Ur sprungs, bezeichnend; ein Phänomen, das bei Män nern, auch wohl bei Frauen, vielen Anteil erregte. Sollte vorgesagtes dem eigentlich wissenschaftli chen Manne vielleicht allzu empirisch vorkommen, so melde ich hienächst, daß gerade dieses lebhafte Be nehmen uns die Gunst und den Anteil eines in diesem Fache schon geübteren Mannes erwerben konnte, eines trefflichen Arztes nämlich, der, einen reichen Vornehmen begleitend, seinen Badeaufenthalt eigent lich zu botanischen Zwecken zu nutzen gedachte. Er gesellte sich gar bald zu uns, die sich freuten ihm an Handen zu gehen. Die meisten von Dietrich früh ein gebrachten Pflanzen trachtete er sorgfältig einzulegen, wo denn der Name hinzugeschrieben und auch sonst manches bemerkt wurde. Hiebei konnt' ich nicht an ders als gewinnen. Durch Wiederholung prägten sich die Namen in mein Gedächtnis; auch im Analysieren gewann ich etwas mehr Fertigkeit, doch ohne bedeu tenden Erfolg; Trennen und Zählen lag nicht in meiner Natur.
Nun fand aber jenes fleißige Bemühen und Treiben in der großen Gesellschaft einige Gegner. Wir mußten öfters hören: die ganze Botanik, deren Studium wir so emsig verfolgten, sei nichts weiter als eine Nomenkla tur, und ein ganzes auf Zahlen, und das nicht einmal durchaus, gegründetes System; sie könne weder dem Verstand noch der Einbildungskraft genügen, und nie mand werde darin irgendeine auslangende Folge zu finden wissen. Ohngeachtet dieser Einwendung gin gen wir getrost unsern Weg fort, der uns denn immer tief genug in die Pflanzenkenntnis einzuleiten ver sprach.
Hier aber will ich nur kürzlich bemerken, daß der folgende Lebensgang des jungen Dietrich solchen An fängen gleich blieb; er schritt unermüdet auf dieser Bahn weiter, so daß er, als Schriftsteller rühmlichst bekannt, mit der Doktorwürde geziert, den Großher zoglichen Gärten in Eisenach bis jetzt mit Eifer und Ehre vorsteht.
August Carl Batsch, der Sohn eines in Weimar durchaus geliebten und geschätzten Vaters, hatte seine Studienzeit in Jena sehr wohl benutzt, sich den Naturwissenschaften eifrig ergeben und es so weit ge bracht, daß er nach Köstritz berufen wurde, um die ansehnliche Gräflich Reußische Naturaliensammlung zu ordnen und ihr eine Zeitlang vorzustehen. Sodann kehrte er nach Weimar zurück, wo ich ihn denn, im harten pflanzenfeindlichen Winter, auf der Schritt schuhbahn, damals dem Versammlungsort guter Ge sellschaft, mit Vergnügen kennen lernte, seine zarte Bestimmtheit und ruhigen Eifer gar bald zu schätzen wußte, und in freier Bewegung mich mit ihm über hö here Ansichten der Pflanzenkunde und über die ver schiedenen Methoden, dieses Wissen zu behandeln, freimütig und anhaltend besprach.
Seine Denkweise war meinen Wünschen und For derungen höchst angemessen, die Ordnung der Pflan zen nach Familien, in aufsteigendem, sich nach und nach entwickelnden Fortschritt, war sein Augenmerk. Diese naturgemäße Methode, auf die Linné mit from men Wünschen hindeutet, bei welcher französische Botaniker theoretisch und praktisch beharrten, sollte nun einen unternehmenden jüngeren Mann zeitlebens beschäftigen, und wie froh war ich meinen Teil daran aus der ersten Hand zu gewinnen. Aber nicht allein von zwei Jünglingen, sondern auch von einem bejahrten vorzüglichen Manne sollte ich unbeschreiblich gefördert werden. Hofrat Büttner hatte seine Bibliothek von Göttingen nach Jena ge bracht, und ich, durch das Vertrauen meines Fürsten, der diesen Schatz sich und uns angeeignet hatte, beauftragt, Anordnung und Aufstellung, nach dem ei genen Sinne des im Besitz bleibenden Sammlers, ein zuleiten, unterhielt mit demselben ein fortwährendes Verkehr. Er, eine lebendige Bibliothek, bereitwillig auf jede Frage umständliche, auslangende Antwort und Auskunft zu geben, unterhielt sich über Botanik mit Vorliebe.
Hier verleugnete er nicht, sondern bekannte viel mehr sogar leidenschaftlich, daß er, als Zeitgenosse Linnés, gegen diesen ausgezeichneten, die ganze Welt mit seinem Namen erfüllenden Mann in stillem Wett eifer, dessen System niemals angenommen, vielmehr sich bemüht habe, die Anordnung der Gewächse nach Familien zu bearbeiten, von den einfachsten fast un sichtbaren Anfängen in das Zusammengesetzteste und Ungeheuerste fortschreitend. Ein Schema hiervon zeigte er gern, mit eigner Hand zierlich geschrieben, worin die Geschlechter nach diesem Sinne gereiht er schienen, mir zu großer Erbauung und Beruhigung. Vorgesagtem nachdenkend, wird man die Vorteile nicht verkennen, die mir meine Lage zu dergleichen Studien gewährte: große Gärten, sowohl an der Stadt als an Lustschlössern, hie und da in der Gegend Baum- und Gebüsch-Anlagen nicht ohne botanische Rücksicht, dazu die Beihülfe einer in der Nachbar schaft längst durchgearbeiteten wissenschaftlichen Lokalflora, nebst der Einwirkung einer stets fortschreitenden Akademie, alles zusammengenom men gab einem aufgeweckten Geiste genugsame För dernis zur Einsicht in die Pflanzenwelt. Indessen sich dergestalt meine botanischen Kennt nisse und Einsichten in lebenslustiger Geselligkeit er weiterten, ward ich eines einsiedlerischen Pflanzen freundes gewahr, der mit Ernst und Fleiß sich diesem Fache gewidmet hatte.
Wer wollte nicht dem im höchsten Sinne verehrten Johann Jacob Rousseau auf seinen einsamen Wande rungen folgen, wo er, mit dem Menschengeschlecht verfeindet, seine Aufmerksamkeit der Pflanzen- und Blumenwelt zuwendet, und in echter gradsinniger Geisteskraft sich mit den still reizenden Naturkindern vertraut macht.
Aus seinen frühern Jahren ist mir nicht bekannt, daß er zu Blumen und Pflanzen andere Anmutungen gehabt als solche, welche eigentlich nur auf Gesin nung, Neigung, zärtliche Erinnerungen hindeuteten; seinen entschiedenen Äußerungen aber zufolge mag er erst nach einem stürmischen Autor-Leben, auf der St. Peters-Insel, im Bieler See, auf dies Naturreich in sei ner Fülle aufmerksam geworden sein. In England nachher, bemerkt man, hat er sich schon freier und weiter umgesehn; sein Verhältnis zu Pflanzenfreunden und - kennern, besonders zu der Herzogin von Port land, mag einen Scharfblick mehr in die Breite gewiesen haben, und ein Geist wie der seinige, der den Nationen Gesetz und Ordnung vorzuschreiben sich berufen fühlt, mußte doch zur Vermutung gelan gen, daß in dem unermeßlichen Pflanzenreiche keine so große Mannigfaltigkeit von Formen erscheinen könnte, ohne daß ein Grundgesetz, es sei auch noch so verborgen, sie wieder sämtlich zur Einheit zurück brächte. Er versenkt sich in dieses Reich, nimmt es ernstlich in sich auf, fühlt, daß ein gewisser methodi scher Gang durch das Ganze möglich sei, getraut sich aber nicht damit hervorzutreten. Wie er sich selbst darüber ausspricht, wird immer ein Gewinn sein zu vernehmen.
»Was mich betrifft, ich bin in diesem Studium ein Schüler und nicht gegründet; indem ich herborisiere, denk' ich mehr mich zu zerstreuen und zu vergnügen als zu unterrichten, und ich kann bei meinen zögern den Betrachtungen den anmaßlichen Gedanken nicht fassen, andere zu unterrichten in dem, was ich selbst nicht weiß.«
»Doch ich gestehe, die Schwierigkeiten, die ich bei dem Studium der Pflanzen fand, führten mich auf ei nige Vorstellungen, wie sich wohl Mittel finden lie ßen dasselbe zu erleichtern und andern nützlich zu machen, und zwar indem man den Faden eines Pflan zensystems durch eine mehr schritthaltende, weniger den Sinnen entrückte Methode zu verfolgen wüßte alses Tournefort getan und alle seine Nachfolger, selbst Linné nicht ausgenommen. Vielleicht ist mein Gedan ke nicht ausführbar; wir sprechen darüber, wenn ich die Ehre habe Sie wieder zu sehen.« Also schrieb er im Anfange des Jahrs 1770; allein es hatte ihm unterdessen keine Ruhe gelassen; schon im August 1771 unternimmt er, bei einem freundli chen Anlaß, die Pflicht andere zu belehren, ja, was er weiß und einsieht, Frauen vorzutragen, nicht etwa zu spielender Unterhaltung, sondern sie gründlich in die Wissenschaft einzuleiten.
Hier gelingt es ihm nun, sein Wissen auf die ersten sinnlich vorzuweisenden Elemente zurückzuführen; er legt die Pflanzenteile einzeln vor, lehrt sie unterschei den und benennen. Kaum aber hat er hierauf die ganze Blume aus den Teilen wiederhergestellt und sie be nannt, teils durch Trivialnamen kenntlich gemacht, teils die Linnéische Terminologie ehrenhaft, ihren ganzen Wert bekennend, eingeführt; so gibt er also bald eine breitere Übersicht ganzer Massen. Nach und nach führt er uns vor: Liliaceen, Siliquosen und Sili kulosen, Rachen- und Maskenblumen, Umbellen und Kompositen zuletzt, und indem er auf diesem Wege die Unterschiede in steigender Mannigfaltigkeit und Verschränkung anschaulich macht, führt er uns un merklich einer vollständigen erfreulichen Übersicht entgegen. Denn da er an Frauenzimmer zu reden hat, versteht er, mäßig und gehörig, auf Gebrauch, Nutzen und Schaden hinzuweisen, und dies um so schickli cher und leichter, da er, alle Beispiele zu seiner Lehre aus der Umgebung nehmend, nur von dem Einheimi schen spricht und auf die exotischen Pflanzen, wie sie auch gekannt sein und gepflegt werden mögen, keine Ansprüche macht.
Im Jahr 1822 gab man unter dem Titel La Bota nique de Rousseau sämtliche von ihm über diese Ge genstände verfaßten Schriften in klein Folio sehr an ständig heraus, begleitet mit farbigen Bildern, nach dem vortrefflichen Redoute alle diejenigen Pflanzen vorstellend, von welchen er gesprochen hatte. Bei deren Überblick bemerkt man mit Vergnügen, wie einheimisch ländlich er bei seinen Studien verfahren, indem nur Pflanzen vorgestellt sind, welche er auf sei nen Spaziergängen unmittelbar konnte gewahr wer den.
Seine Methode: das Pflanzenreich ins Engere zu bringen, neigt sich, wie wir oben gesehen haben, of fenbar zur Einteilung nach Familien; und da ich in jener Zeit auch schon zu Betrachtungen dieser Art hingeleitet war, so machte sein Vortrag auf mich einen desto größern Eindruck.
Und so wie die jungen Studierenden sich auch am liebsten an junge Lehrer halten, so mag der Dilettant gern vom Dilettanten lernen. Dieses wäre freilich in Absicht auf Gründlichkeit bedenklich, wenn nicht die Erfahrung gäbe, daß Dilettanten zum Vorteil der Wis senschaft vieles beigetragen. Und zwar ist dieses ganz natürlich: Männer vom Fach müssen sich um Voll ständigkeit bemühen und deshalb den weiten Kreis in seiner Breite durchforschen; dem Liebhaber dagegen ist darum zu tun, durch das Einzelne durchzukommen, und einen Hochpunkt zu erreichen, von woher ihm eine Übersicht, wo nicht des Ganzen, doch des Mei sten gelingen könnte.
Von Rousseaus Bemühungen bring' ich nur soviel nach, daß er eine sehr anmutige Sorgfalt für das Trocknen der Pflanzen und Anlegen von Herbarien beweist, und den Verlust desselben innigst bedauert, wenn irgendeins zugrunde geht, ob er gleich auch hier, im Widerspruch mit sich selbst, weder Geschick noch anhaltende Sorgsamkeit haben mochte, um be sonders bei seinen vielfachen Wanderungen auf Er haltung genau zu achten; deswegen er auch derglei chen Gesammeltes nur immer als Heu angesehen wis sen will.
Behandelt er aber, einem Freund zuliebe, die Moose mit billiger Sorgfalt, so erkennen wir aufs leb hafteste, welchen gründlichen Anteil ihm die Pflan zenwelt abgewonnen habe; welches besonders die Fragmens pour un Dictionnaire des termes d'usage en Botanique vollkommen bestätigen. Soviel sei hier gesagt, um einigermaßen anzudeu ten, was wir ihm in jener Epoche unsrer Studien schuldig geworden.
Wie er sich nun, befreit von allem nationalen Starr sinn, an die auf jeden Fall vorschreitenden Wirkungen Linnés hielt, so dürfen wir auch wohl von unsrer Seite bemerken, daß es ein großer Vorteil sei, wenn wir beim Eintreten in ein für uns neues wissenschaftliches Fach es in einer Krise und einen außerordentlichen Mann beschäftigt finden, hier das Vorteilhafte durch zuführen. Wir sind jung mit der jungen Methode, unsre Anfänge treffen in eine neue Epoche, und wir werden in die Masse der Bestrebsamen wie in ein Ele ment aufgenommen, das uns trägt und fördert. Und so ward ich mit meinen übrigen Zeitgenossen Linnés gewahr, seiner Umsicht, seiner alles hinreißen den Wirksamkeit. Ich hatte mich ihm und seiner Lehre mit völligem Zutrauen hingegeben; demunge achtet mußt' ich nach und nach empfinden, daß mich auf dem bezeichneten eingeschlagenen Wege man ches, wo nicht irremachte, doch zurückhielt. Soll ich nun über jene Zustände mit Bewußtsein deutlich werden, so denke man mich als einen gebor nen Dichter, der seine Worte, seine Ausdrücke unmit telbar an den jedesmaligen Gegenständen zu bilden trachtet, um ihnen einigermaßen genugzutun. Ein sol cher sollte nun eine fertige Terminologie ins Gedächtnis aufnehmen, eine gewisse Anzahl Wörter und Beiwörter bereit haben, damit er, wenn ihm ir gendeine Gestalt vorkäme, eine geschickte Auswahl treffend, sie zu charakteristischer Bezeichnung anzu wenden und zu ordnen wisse. Dergleichen Behand lung erschien mir immer als eine Art von Mosaik, wo man einen fertigen Stift neben den andern setzt, um aus tausend Einzelnheiten endlich den Schein eines Bildes hervorzubringen; und so war mir die Forde rung in diesem Sinne gewissermaßen widerlich. Sah ich nun aber auch die Notwendigkeit dieses Verfahrens ein, welches dahin zweckte, sich durch Worte, nach allgemeiner Übereinkunft, über gewisse äußerliche Vorkommenheiten der Pflanzen zu verstän digen, und alle schwer zu leistende und oft unsichre Pflanzenabbildungen entbehren zu können; so fand ich doch bei der versuchten genauen Anwendung die Hauptschwierigkeit in der Versatilität der Organe. Wenn ich an demselben Pflanzenstengel erst rundli che, dann eingekerbte, zuletzt beinahe gefiederte Blät ter entdeckte, die sich alsdann wieder zusammenzo gen, vereinfachten, zu Schüppchen wurden und zu letzt gar verschwanden, da verlor ich den Mut ir gendwo einen Pfahl einzuschlagen, oder wohl gar eine Grenzlinie zu ziehen.
Unauflösbar schien mir die Aufgabe, Genera mit Sicherheit zu bezeichnen, ihnen die Spezies unterzuordnen. Wie es vorgeschrieben war, las ich wohl, allein wie sollt, ich eine treffende Bestimmung hoffen, da man bei Linnés Lebzeiten schon manche Geschlechter in sich getrennt und zersplittert ja sogar Klassen aufgehoben hatte; woraus hervorzugehn schien: der genialste, scharfsichtigste Mann selbst habe die Natur nur en gros gewältigen und beherr schen können Wurde nun dabei meine Ehrfurcht für ihn im geringsten nicht geschmälert, so mußte deshalb ein ganz eigener Konflikt entstehen, und man denke sich die Verlegenheit, in der sich ein autodidaktischer Tiro abzumühen und durchzukämpfen hatte. Ununterbrochen jedoch mußt' ich meinen übrigen Lebensgang verfolgen, dessen Pflichten und Erholun gen glücklicherweise meist in der freien Natur ange wiesen waren Hier drang sich nun dem unmittelbaren Anschauen gewaltig auf: wie jede Pflanze ihre Gele genheit sucht, wie sie eine Lage fordert, wo sie in Fülle und Freiheit erscheinen könne. Bergeshöhe, Ta lestiefe, Licht, Schatten, Trockenheit, Feuchte, Hitze, Wärme, Kälte, Frost und wie die Bedingungen alle heißen mögen! Geschlechter und Arten verlangen sie, um mit völliger Kraft und Menge hervorzusprießen. Zwar geben sie an gewissen Orten, bei manchen Gele genheiten, der Natur nach, lassen sich zur Varietät hinreißen, ohne jedoch das erworbene Recht an Ge stalt und Eigenschaft völlig aufzugeben. Ahnungen hievon berührten mich in der freien Welt, und neue Klarheit schien mir aufzugehen über Gärten und Bü cher.
Der Kenner, der sich in das Jahr 1786 zurückzu versetzen geneigt wäre, möchte sich wohl einen Be griff meines Zustandes ausbilden können, in welchem ich mich nun schon zehn Jahre befangen fühlte, ob es gleich selbst für den Psychologen eine Aufgabe blei ben würde, indem ja, bei dieser Darstellung, meine sämtlichen Obliegenheiten, Neigungen, Pflichten und Zerstreuungen mit aufzunehmen wären. Hier gönne man mir eine ins Ganze greifende Be merkung so einzuschalten: daß alles, was uns von Ju gend auf umgab, jedoch nur oberflächlich bekannt war und blieb, stets etwas Gemeines und Triviales für uns behält, das wir als gleichgültig neben uns beste hend ansehen, worüber zu denken wir gewissermaßen unfähig werden. Dagegen finden wir, daß neue Ge genstände in auffallender Mannigfaltigkeit, indem sie den Geist erregen, uns erfahren lassen, daß wir eines reinen Enthusiasmus fähig sind; sie deuten auf ein Höheres, welches zu erlangen uns wohl gegönnt sein dürfte. Dies ist der eigentlichste Gewinn der Reisen, und jeder hat nach seiner Art und Weise genugsamen Vorteil davon. Das Bekannte wird neu durch unerwar tete Bezüge, und erregt, mit neuen Gegenständen ver knüpft, Aufmerksamkeit, Nachdenken und Urteil.
In diesem Sinne ward meine Richtung gegen die Natur, besonders gegen die Pflanzenwelt, bei einem schnellen Übergang über die Alpen lebhaft angeregt: Der Lärchenbaum, häufiger als sonst, die Zirbelnuß, eine neue Erscheinung, machten sogleich auf klimati schen Einfluß dringend aufmerksam. Andere Pflan zen, mehr oder weniger verändert, blieben bei eiligem Vorüberrollen nicht unbemerkt. Am mehrsten aber er kannt' ich die Fülle einer fremden Vegetation, als ich in den botanischen Garten von Padua hineintrat, wo mir eine hohe und breite Mauer mit feuerroten Glocken der Bignonia radicans zauberisch entgegen leuchtete.
Ferner sah ich hier im Freien manchen seltenen Baum emporgewachsen, den ich nur in unsern Glas häusern überwintern gesehen. Auch die mit einer ge ringen Bedeckung gegen vorübergehenden Frost, während der strengern Jahrszeit, geschützten Pflanzen standen nunmehr im Freien und erfreuten sich der wohltätigen Himmelsluft. Eine Fächerpalme zog meine ganze Aufmerksamkeit auf sich; glücklicher weise standen die einfachen, lanzenförmigen ersten Blätter noch am Boden, die sukzessive Trennung derselben nahm zu, bis endlich das Fächerartige in vollkommener Ausbildung zu sehen war. Aus einer spathagleichen Scheide zuletzt trat ein Zweiglein mit Blüten hervor, und erschien als ein sonderbares, mit dem vorhergehenden Wachstum in keinem Verhältnis stehendes Erzeugnis, fremdartig und überraschend. Auf mein Ersuchen schnitt mir der Gärtner die Stu fenfolge dieser Veränderungen sämtlich ab, und ich belastete mich mit einigen großen Pappen, um diesen Fund mit mir zu führen. Sie liegen, wie ich sie damals mitgenommen, noch wohlbehalten vor mir und ich verehre sie als Fetische, die, meine Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln völlig geeignet, mir eine gedeihliche Folge meiner Bemühungen zuzusagen schienen.
Das Wechselhafte der Pflanzengestalten, dem ich längst auf seinem eigentümlichen Gange gefolgt, er weckte nun bei mir immer mehr die Vorstellung: die uns umgebenden Pflanzenformen seien nicht ur sprünglich determiniert und festgestellt, ihnen sei viel mehr, bei einer eigensinnigen, generischen und spezi fischen Hartnäckigkeit, eine glückliche Mobilität und Biegsamkeit verliehen, um in so viele Bedingungen, die über dem Erdkreis auf sie einwirken, sich zu fügen und darnach bilden und umbilden zu können. Hier kommen die Verschiedenheiten des Bodens in Betracht; reichlich genährt durch Feuchte der Täler, verkümmert durch Trockne der Höhen, geschützt vor Frost und Hitze in jedem Maße, oder beiden unaus weichbar bloßgestellt, kann das Geschlecht sich zur Art, die Art zur Varietät, und diese wieder durch andere Bedingungen ins Unendliche sich verändern; und gleichwohl hält sich die Pflanze abgeschlossen in ihrem Reiche, wenn sie sich auch nachbarlich an das harte Gestein, an das beweglichere Leben hüben und drüben anlehnt. Die allerentferntesten jedoch haben eine ausgesprochene Verwandtschaft, sie lassen sich ohne Zwang untereinander vergleichen. Wie sie sich nun unter einen Begriff sammeln las sen, so wurde mir nach und nach klar und klärer, daß die Anschauung noch auf eine höhere Weise belebt werden könnte: eine Forderung, die mir damals unter der sinnlichen Form einer übersinnlichen Urpflanze vorschwebte. Ich ging allen Gestalten, wie sie mir vorkamen, in ihren Veränderungen nach, und so leuchtete mir am letzten Ziel meiner Reise, in Sizilien, die ursprüngliche Identität aller Pflanzenteile voll kommen ein, und ich suchte diese nunmehr überall zu verfolgen und wieder gewahr zu werden.
Hieraus entstand nun eine Neigung, eine Leiden schaft, die durch alle notwendigen und willkürlichen Geschäfte und Beschäftigungen auf meiner Rückreise durchzog. Wer an sich erfuhr, was ein reichhaltiger Gedanke, sei er nun aus uns selbst entsprungen, sei er von andern mitgeteilt oder eingeimpft, zu sagen hat, muß gestehen, welch eine leidenschaftliche Bewegung in unserm Geiste hervorgebracht werde, wie wir uns begeistert fühlen, indem wir alles dasjenige in Gesamtheit vorausahnen, was in der Folge sich mehr und mehr entwickeln, wozu das Entwickelte weiter führen solle. Und so wird man mir zugeben, daß ich, von einem solchen Gewahrwerden wie von einer Lei denschaft eingenommen und getrieben, mich, wo nicht ausschließlich, doch durch alles übrige Leben hin durch, damit beschäftigen mußte.
So sehr nun aber auch diese Neigung mich inner lichst ergriffen hatte, so war doch an kein geregeltes Studium nach meiner Rückkehr in Rom zu denken; Poesie, Kunst und Altertum, jedes forderte mich ge wissermaßen ganz, und ich habe in meinem Leben nicht leicht operosere, mühsamer beschäftigte Tage zugebracht. Männern vom Fach wird es vielleicht gar zu naiv vorkommen, wenn ich erzähle, wie ich tagtäg lich, in einem jeden Garten, auf Spaziergängen, klei nen Lustfahrten, mich der neben mir bemerkten Pflan zen bemächtigte. Besonders bei der eintretenden Sa menreife war es mir wichtig, die Art zu beobachten, wie manche derselben, der Erde anvertraut, an das Tageslicht wieder hervortraten. So wendete ich meine Aufmerksamkeit auf das Keimen der während ihres Wachstums unförmlichen Cactus opuntia, und sah mit Vergnügen, daß sie ganz unschuldig dikotyledonisch sich in zwei zarten Blättchen enthüllte, sodann aber bei fernerem Wuchse, die künftige Unform entwickel te. Auch mit Samenkapseln begegnete mir etwas Auf fallendes. Ich hatte derselben mehrere von Acanthus mollis nach Hause getragen und in einem offnen Käst chen niedergelegt; nun geschah es in einer Nacht, daß ich ein Knistern hörte und bald darauf das Umher springen an Decke und Wände wie von kleinen Kör pern. Ich erklärte mir's nicht gleich, fand aber nachher meine Schoten aufgesprungen und die Samen umher zerstreut. Die Trockne des Zimmers hatte die Reife bis zu solcher Elastizität in wenigen Tagen vollendet. Unter den vielen Samen, die ich auf diese Weise beobachtete, muß ich einiger noch erwähnen, weil sie zu meinem Andenken kürzer oder länger in dem alten Rom fortwuchsen. Pinienkerne gingen gar merkwür dig auf, sie huben sich, wie in einem Ei eingeschlos sen, empor, warfen aber diese Haube bald ab und zeigten in einem Kranze von grünen Nadeln schon die Anfänge ihrer künftigen Bestimmung. Vor meiner Abreise pflanzte ich das schon einigermaßen erwach sene Vorbildchen eines künftigen Baumes in den Gar ten der Madame Angelika, wo es zu einer ansehnli chen Höhe durch manche Jahre gedieh. Teilnehmende Reisende erzählten mir davon zu wechselseitigem Vergnügen. Leider fand der nach ihrem Ableben ein tretende Besitzer es wunderlich auf seinen Blumen beeten eine Pinie ganz unörtlich hervorgewachsen zu sehen, und verbannte sie sogleich. Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich aus Kernen gezogen hatte; wie ich denn überhaupt die Entwickelung derselben an mehreren Exemplaren be obachtete. Ich übergab sie einem römischen Freunde, der sie in einen Garten pflanzte, wo sie noch gedei hen, wie mir ein erhabener Reisender zu versichern die Gnade hatte. Sie sind bis zur Manneshöhe heran gewachsen. Mögen sie dem Besitzer nicht unbequem werden, und fernerhin fortwachsen und gedeihen. Galt das Bisherige der Fortpflanzung durch Samen, so ward ich auf die Fortpflanzung durch Augen nicht weniger aufmerksam gemacht, und zwar durch Rat Reiffenstein, der auf allen Spaziergängen, hier und dort einen Zweig abreißend, bis zur Pedanterie be hauptete: in die Erde gesteckt müsse jeder sogleich fortwachsen. Zum entscheidenden Beweis zeigte er dergleichen Stecklinge gar wohl angeschlagen in sei nem Garten. Und wie bedeutend ist nicht in der Fol gezeit eine solche allgemein versuchte Vermehrung für die botanisch-merkantile Gärtnerei geworden, die ich ihm wohl zu erleben gewünscht hätte. Am auffallendsten war mir jedoch ein strauchartig in die Höhe gewachsener Nelkenstock. Man kennt die gewaltige Lebens- und Vermehrungskraft dieser Pflanze; Auge ist über Auge an ihren Zweigen ge drängt, Knoten in Knoten hineingetrichtert; dieses war nun hier durch Dauer gesteigert und die Augen aus unerforschlicher Enge zur höchstmöglichen Ent wickelung getrieben, so daß selbst die vollendete Blume wieder vier vollendete Blumen aus ihrem Busen hervorbrachte.
Zu Aufbewahrung dieser Wundergestalt kein Mittel vor mir sehend, übernahm ich es, sie genau zu zeich nen, wobei ich immer zu mehrerer Einsicht in den Grundbegriff der Metamorphose gelangte. Allein die Zerstreuung durch so vielerlei Obliegenheiten ward nur desto hinderlicher, und mein Aufenthalt in Rom, dessen Ende ich voraussah, immer peinlicher und be lasteter.
Auf der Rückreise verfolgte ich unablässig diese Gedanken, ich ordnete mir im stillen Sinne einen an nehmlichen Vortrag dieser meiner Ansichten, schrieb ihn bald nach meiner Rückkehr nieder und ließ ihn drucken. Er kam 1790 heraus und ich hatte die Ab sicht, bald eine weitere Erläuterung mit den nötigen Abbildungen nachfolgen zu lassen. Das fortrau schende Leben jedoch unterbrach und hinderte meine guten Absichten, daher ich denn gegenwärtiger Ver anlassung des Wiederabdrucks jenes Versuchs mich um so mehr zu erfreuen habe, als sie mich auffordert mancher Teilnahme an diesen schönen Studien seit vierzig Jahren zu gedenken.
Nachdem ich im vorstehenden, so viel nur möglich war, anschaulich zu machen gesucht habe, wie ich in meinen botanischen Studien verfahren, auf die ich ge leitet, getrieben, genötigt und, durch Neigung daran festgehalten, einen bedeutenden Teil meiner Le benstage verwendet; so möchte doch vielleicht der Fall eintreten, daß irgendein sonst wohlwollender Leser hiebei tadeln könnte: als habe ich mich zu viel und zu lange bei Kleinigkeiten und einzelnen Persön lichkeiten aufgehalten; deshalb wünsche ich denn hier zu erklären, daß dieses absichtlich und nicht ohne Vorbedacht geschehen sei, damit mir nach so vielem Besondern einiges Allgemeine beizubringen erlaubt sein möge.
Seit länger als einem halben Jahrhundert kennt man mich, im Vaterlande und auch wohl auswärts, als Dichter und läßt mich allenfalls für einen solchen gel ten; daß ich aber mit großer Aufmerksamkeit mich um die Natur in ihren allgemeinen physischen und ihren organischen Phänomenen emsig bemüht und ernstlich angestellte Betrachtungen stetig und leidenschaftlich im stillen verfolgt, dieses ist nicht so allgemein be kannt, noch weniger mit Aufmerksamkeit bedacht worden.
Als daher mein seit vierzig Jahren in deutscher Sprache abgedruckter Versuch: wie man die Gesetze der Pflanzenbildung sich geistreich vorzustellen habe, nunmehr besonders in der Schweiz und Frank reich näher bekannt wurde; so konnte man sich nicht genug verwundern, wie ein Poet, der sich bloß mit sittlichen, dem Gefühl und der Einbildungskraft an heimgegebenen Phänomenen gewöhnlich befasse, sich einen Augenblick von seinem Wege abwenden und, in flüchtigem Vorübergehen, eine solche bedeutende Entdeckung habe gewinnen können.
Diesem Vorurteil zu begegnen, ist eigentlich vor stehender Aufsatz verfaßt; er soll anschaulich ma chen: wie ich Gelegenheit gefunden einen großen Teil meines Lebens mit Neigung und Leidenschaft auf Na turstudien zu verwenden.
Nicht also durch eine außerordentliche Gabe des Geistes, nicht durch eine momentane Inspiration, noch unvermutet und auf einmal, sondern durch ein folgerechtes Bemühen bin ich endlich zu einem so er freulichen Resultate gelangt. Zwar hätte ich gar wohl der hohen Ehre, die man meiner Sagazität erweisen wollen, ruhig genießen und mich allen falls damit brüsten können; da es aber im Verfolg wissenschaftlichen Bestrebens gleich schäd lich ist, ausschließlich der Erfahrung, als unbedingt der Idee zu gehorchen, so habe ich für meine Schul digkeit gehalten das Ereignis, wie es mir begegnet, historisch treu, obgleich nicht in aller Ausführlichkeit, ernsten Forschern darzulegen.