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Giovanni Pico della Mirandola

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Pico della Mirandola, Uffizien

Giovanni Pico (Conte) della Mirandola (* 24. Februar 1463 in Mirandola in der heutigen Region Emilia-Romagna; † 17. November 1494 in Florenz) war ein italienischer Philosoph der Renaissance. Bekannt ist er heute vor allem durch seine Rede Über die Würde des Menschen, in der er die Frage nach dem Wesen des Menschen und seiner Stellung in der Welt stellt und die Willensfreiheit als charakteristisches Merkmal des Menschen hervorhebt. Mit seiner außergewöhnlichen Bildung und seiner Beredsamkeit beeindruckte Pico seine Zeitgenossen stark.

Leben

Giovanni war ein Sohn des Grafen Gianfrancesco Pico della Mirandola. Nach dem Tod seines Vaters (1467) wurde er von seiner Mutter erzogen und auf eine kirchliche Laufbahn vorbereitet. Schon im Alter von 14 Jahren beschäftigte er sich mit Philosophie und den klassischen Sprachen. 1477 begann er ein juristisches Studium (Kirchenrecht) in Bologna, das er aber abbrach. Nach dem Tod seiner Mutter (1478) wechselte er 1479 nach Ferrara, wo er sich den studia humanitatis zuwandte, und 1480 nach Padua zum Studium der Philosophie. Padua war ein Zentrum des italienischen Averroismus, mit dem sich Pico nun auseinandersetzte. 1483 übersiedelte er nach Florenz und betätigte sich dort in dem Kreis um Lorenzo I. de’ Medici, dem u.a. Marsilio Ficino und Angelo Poliziano angehörten. Mit Ficino verband ihn seither eine lebenslange enge Freundschaft, die von späteren philosophischen Meinungsverschiedenheiten nicht getrübt wurde. In diesem Zusammenhang bekannte sich Pico ausdrücklich zum Freundschaftsideal der Pythagoreer. Von Juli 1485 bis März 1486 hielt er sich in Paris auf, wo er sich entschieden zum Averroismus bekannte, kehrte aber bald nach Italien zurück. Er lernte die arabische, die hebräische und die aramäische Sprache.[1]

1486 begann er mit dem Studium der Kabbala und beauftragte den jüdischen Konvertiten Raimundo Moncada (Flavius Mithridates), kabbalistische Literatur ins Lateinische zu übersetzen. Er war der erste christliche Gelehrte, der sich, ohne selbst jüdischer Abstammung zu sein, intensiv mit der Kabbalah befasste und deren Konzepte mit denen der Hermetik zu verbinden suchte.[2]

Zugleich bereitete er eine Reise nach Rom vor, wo er 900 philosophische und theologische Thesen, die er verfasst hatte, öffentlich vor allen interessierten Gelehrten der Welt verteidigen wollte. Zu diesem Zweck beschloss er zu einem großen europäischen Kongress einzuladen, der in Anwesenheit des Papstes und des Kardinalskollegiums stattfinden sollte; die Reisekosten der teilnehmenden Gelehrten wollte er selbst tragen. Sein Ziel war, eine fundamentale Übereinstimmung aller philosophischen und religiösen Lehren aufzuzeigen, die letztlich alle im Christentum enthalten seien, und damit zu einer weltweiten Verständigung und zum Frieden beizutragen.

Auf dem Weg nach Rom verliebte er sich in eine verheiratete Frau, die er auf ihren Wunsch entführte. Der Ehemann ließ die Flüchtigen verfolgen und aufspüren; die Frau wurde zurückgebracht, Pico erlitt eine Verletzung und musste sich monatelang verstecken. Lorenzo de' Medici schützte ihn vor der Verhaftung. Nach dieser Verzögerung traf er erst im November 1486 in Rom ein. Dort veröffentlichte er die Thesen am 7. Dezember 1486.[3] Die für den 6. Januar 1487 geplante öffentliche Disputation fand jedoch nicht statt, denn Papst Innozenz VIII. setzte eine sechzehnköpfige Kommission ein, welche die Rechtgläubigkeit der in den Thesen vertretenen Auffassungen prüfen sollte. Pico war nicht bereit, vor der Kommission zu erscheinen. Nach heftiger Debatte kam die Kommission zu dem Ergebnis, dreizehn der Thesen seien häretisch und sollten daher verurteilt werden. Dies hatte zunächst keine Maßnahmen gegen Pico zur Folge. Als er sich aber in einer Rechtfertigungsschrift, der Apologia, verteidigte, ohne eine Äußerung des Papstes abzuwarten, wurde ihm dies an der Kurie verübelt. In einer Bulle mit dem Datum des 4. August 1487 verurteilte der Papst die Thesen gesamthaft und ordnete die Verbrennung sämtlicher Exemplare an, doch zögerte er die Veröffentlichung der Bulle hinaus. Als er aber erfuhr, dass Pico die Apologia hatte drucken lassen, fasste er deren Verbreitung als offene Rebellion auf, die er Pico nie verzieh.[4] In dieser bedrohlichen Lage reiste Pico im November aus Rom ab, was von seinen Kritikern als Flucht gedeutet wurde, denn er stand nun unter Häresieverdacht. Da der Papst seine Festnahme forderte, wurde er auf dem Weg nach Paris in der Nähe von Lyon verhaftet. Er erlangte jedoch die Gunst König Karls VIII., der ihn freiließ und schützte. Daher konnte er 1488 in Freiheit nach Florenz zurückkehren, wo er unter dem Schutz Lorenzos stand. Dort sowie in Fiesole und Corbole in der Nähe von Ferrara verbrachte er den Rest seines Lebens mit philosophischen und religiösen Studien. Dabei traten religiöse Themen immer mehr in den Vordergrund. In der letzten Phase seines Lebens bekannte er sich zu den Ansichten des radikalen Predigers Girolamo Savonarola, in dessen Dominikanerkloster San Marco er dann 1494 bestattet wurde. Am 18. Juni 1493 hatte Papst Alexander VI. alle von seinem Vorgänger Innozenz VIII. gegen Pico verhängten Maßnahmen rückgängig gemacht. Pico starb an einem Fieber; der überraschende Tod des vielversprechenden Gelehrten rief große Bestürzung hervor, und es verbreitete sich bald das Gerücht, er sei von seinem Sekretär vergiftet worden.

„Einer der Zeitgenossen des Savonarola war Pico della Mirandola, der Graf Mirandola, der am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts gelebt hat und ganz darinnen war in der Stimmung, die dazumal in Florenz lebte. Sie sehen, wir sind in dem Jahrhundert, wo der vierte nachatlantische Zeitraum in den fünften nachatlantischen Zeitraum übergeht. Pico von Mirandola ist einer derjenigen Geister, die zu den empfänglichen gehörten, die fühlten, der Geist verschwindet aus unserer Umgebung, und der zu gleicher Zeit eine innigste Sehnsucht bekam, diesen Geist noch zu fühlen, ihn hereinzubekommen. Ja, es war eine ganze Anzahl von Menschen dazumal in Florenz, in dieser Zeit, welche in dieser Stimmung lebten. Sie fühlten: für das normale menschliche Leben verweht der Geist; aber wir müssen ihn hereinbekommen. Neuplatoniker nannten sich dazumal diese RenaissanceMenschen. Und derjenige konnte nicht in ihre Akademie eintreten, der nicht wenigstens ein Erlebnis hatte, durch das er Zusammenhänge seiner Seele, Kräfte bewiesen hätte, welche zeigten, daß er noch eine unmittelbare Anschauung gehabt habe von dem Geiste, der um uns herum wirkt und ist. Das war noch im fünfzehnten Jahrhundert. In die Akademie von Florenz, die den Neuplatonismus, die Wiederauflebung Platos, pflegte, durfte man gar nicht eintreten, wenn man sich nicht bemühte, ein Erlebnis zuerst gehabt zu haben, durch das man unmittelbar wußte: der Geist lebt sich herein in das Sinnenleben. Und Pico hatte solcher Augenblicke mehrere. Und daher verstand er die Worte Savonarolas, die, wenn auch in einer eigenartigen Weise, durchtränkt waren von solchen geistigen Strömungen. Dieser Pico verstand in seiner Art den Savonarola. Pico von Mirandola war nur zu eitel dazu, um auf dasjenige einzugehen, was Savonarola für ihn wollte. Der wollte ihn eigentlich zu seinem Genossen machen. Aber Pico von Mirandola konnte das nicht mit seiner Eitelkeit in Vereinbarung bringen. Als Pico von Mirandola, noch als verhältnismäßig junger Mensch, dem Tode nahe war, da hatte er wiederum solch ein Erlebnis. Und dieses Erlebnis prägte sich ihm so aus: Indem er sein Ende herankommen fühlte — er war noch ganz jung —, sah er in die geistige Welt hinein. Die Formen, in denen sich dann die Wesen der geistigen Welt ausprägen, richten sich ja nach dem Subjektiven des Menschen. Was sich dem Pico aus der geistigen Welt offenbarte, kleidete sich ihm in das Bild der Madonna. Kurz, die Madonna erschien ihm, so können wir sagen, und sie sagte: Ich werde dich noch nicht völlig dem Tode überliefern. — Mirandola verstand das nicht einmal gleich. Er glaubte, er könne als physischer Mensch weiterleben. Dennoch starb er, und Savonarola hielt selber die Leichenrede. Und es ist bedeutsam, uns in die ganze Stimmung hinein zu versetzen, die den Übergang bildete zwischen dem vierten und dem fünften nachatlantischen Zeitraum. Es ist vielleicht gut, einmal die Worte, die Savonarola am Grabe des Pico von Mirandola gesprochen hat, sich ins Gedächtnis zu rufen, denn man sieht in diesen Worten, wie dazumal ernst genommen wurde die Tatsache, daß solch ein Mensch wie Pico von Mirandola eine solche Beziehung zur geistigen Welt hatte, daß sich ihm noch vor dem Tode in einer solchen Weise die geistige Welt zeigte in einem Bilde. Savonarola sagte dazumal an dem Grabe des Pico von Mirandola — es ist dies zugleich ein Zeichen dafür, daß dazumal Leichenreden nicht bloß zur Schmeichelei gehalten worden sind —:

«Keiner ist unter euch, der Giovanni Pico nicht gekannt hätte. Mit großen Wohltaten und hohen Gunsterweisungen hat Gott ihn überhäuft. Mannigfaltig war sein Wissen, und sein Geist ragte empor über die Sterblichen. Auch für die Kirche bedeutet sein Tod einen schweren Verlust. Wäre seine Lebenszeit nicht so kurz gewesen, so hätte er, nach meiner festen Überzeugung, alle Gelehrten der letzten achthundert Jahre in den Schatten gestellt. Eine göttliche Stimme in seinem Herzen rief ihm zu, die Weihen zu nehmen. Bisweilen war er willens, dem Rufe Folge zu leisten. Aber er verschob immer wieder den Eintritt in das Kloster, sei es aus Undankbarkeit gegen Gott, sei es, weil die Sinnlichkeit ihn zurückhielt, oder weil er bei der Zartheit seines Körpers vor den Anstrengungen des Mönchslebens zurückschreckte, oder endlich, weil er durch seine wissenschaftlichen Arbeiten schon an sich der Religion förderlich sein zu können glaubte. Deshalb drohte ich ihm seit zwei Jahren mit der Geißel Gottes, und ich bekenne, daß ich den Höchsten anflehte, den Säumigen ein wenig zu züchtigen. Aber selbst ihm gegenüber zeigte sich Gott in seiner Nachsicht. Zwar ist des Toten Seele noch nicht eingegangen zur himmlischen Seligkeit im Schöße des Vaters, doch ist sie auch nicht zu den Martern der Hölle auf ewig verdammt, denn sie empfängt eine bestimmte Zeit lang ihre Sühne im Feuer des Purgatoriums. Was ich euch über Picos Tod verkündete, das wird nicht durch das ihm gewordene Versprechen der heiligen Jungfrau widerlegt. Zuerst hielt ich dieses Versprechen überhaupt für die Vorspiegelung eines Dämons» — Savonarola spricht also von dem letzten Gesichte des Pico von Mirandola —, «dann wurde mir jedoch klar, daß der Sterbende in der Sinnesverwirrung der letzten Stunde unter jener Verheißung den ersten Tod, die Madonna aber den ewigen gemeint habe.» Das heißt, die Madonna hat ihm gesagt: er werde nicht auf immer in Strafe genommen werden, sondern nur kurze Zeit nach seinem Tode — so meint Savonarola.

Die Stimmung, in der dazumal bei solchen Gelegenheiten von geistigen Erscheinungen gesprochen worden ist, diese Stimmung wollte ich nur charakterisieren. Und man darf sie mit diesem Beispiel charakterisieren, denn Savonarola ist kein Mensch, der sich bloß aus Heuchelei, weil er Priester war, zu geistigen Erscheinungen bekannt haben würde. Savonarola war ein Mensch von der Art, daß man ihm zumuten mußte: In jeder Lage und in jeder Stellung, in der er war, folgte er nur der Stimme dessen, wovon er sich persönlich überzeugt hatte. Er sprach nicht nur, um der Kirche zu gefallen, der er ja auch wirklich nicht gefiel und die ihn entsprechend behandelt hat, sondern er sprach, indem er von den geistigen Welten sprach, von dem, wovon er wußte aus seiner eigenen Erfahrung. Denn dasjenige, was Pico wußte von der geistigen Welt aus seiner unmittelbaren Erfahrung, wurde natürlich weit übertroffen durch die unmittelbaren Offenbarungen, die Savonarola selber von der geistigen Welt hatte.“ (Lit.:GA 167, S. 120ff)

Werke und Lehre

Der früh verstorbene Pico hat kein umfangreiches Werk hinterlassen. Von seinen Schriften hat er nur drei veröffentlicht: die 900 Thesen (Conclusiones nongentae), die Apologie und den 1489 verfassten Heptaplus, eine allegorische Auslegung des Anfangs des biblischen Buches Genesis, in der er auf die mittelalterliche exegetische Tradition zurückgreift und kabbalistisches Gedankengut einbaut.

Zwei Jahre nach Picos Tod veröffentlichte sein Neffe Gianfrancesco Pico della Mirandola einen Teil der hinterlassenen Schriften, doch erst die Gesamtausgaben von Basel (1557, 1572-73 und 1601) enthielten den ganzen heute bekannten Bestand (einige Werke sind verloren).

Zu den postum erschienenen Werken gehören die 1490 verfasste Abhandlung "Über das Seiende und das Eine" (De ente et uno), der 1485/1486 entstandene "Kommentar zu einem Lied der Liebe", worin er die Canzona d'amore seines Freundes Girolamo Benivieni kommentiert, eine Auslegung des Vaterunser (Expositio in orationem dominicam), eine Kampfschrift gegen die Astrologie in zwölf Büchern (Disputationes adversus astrologiam divinatricem),[5] zahlreiche Briefe sowie 19 lateinische und 46 italienische Gedichte. "Über das Seiende und das Eine" war ein Teil eines großen geplanten, aber nicht vollendeten Werks, in dem Pico eine grundsätzliche Übereinstimmung zwischen Platon und Aristoteles aufzeigen wollte. Dabei ging er von einer aristotelischen Deutung Platons aus, die sich gegen die neuplatonische Auffassung Plotins und Ficinos richtete. Auch die Schrift gegen die Astrologie gehörte in den Zusammenhang eines unvollendet gebliebenen größeren Projekts, einer Verteidigung des christlichen Glaubens gegen sieben Feinde (Atheismus, Polytheismus, Judentum, Islam, Aberglauben, Astrologie und magische Künste, Häresie und Gleichgültigkeit der Christen).[6] Dieses Spätwerk, dessen Vollendung Picos Tod verhinderte, lässt mit seiner apologetischen Abgrenzung des spezifisch Christlichen den Einfluss Savonarolas erkennen. Es bildet somit einen Gegenpol zu den Bestrebungen der Frühzeit Picos, als er die prinzipielle Vereinbarkeit aller philosophischen Traditionen nachzuweisen versuchte.

Wegen seines starken Interesses an Metaphysik und Theologie war Pico ebenso wie Ficino kein typischer Renaissance-Humanist, denn gewöhnlich standen die Humanisten den für die Scholastik typischen metaphysischen Spekulationen sehr distanziert gegenüber, ihr philosophisches Interesse pflegte sich auf die Moralphilosophie zu beschränken. Pico verteidigte sogar – völlig untypisch für einen Humanisten – die scholastischen Philosophen gegen die Kritik von Ermolao Barbaro mit dem Argument, der Inhalt philosophischer Texte sei wichtiger als die ästhetische Qualität ihres Stils (die bei den Scholastikern aus humanistischer Sicht höchst mangelhaft war). Der an Ermolao gerichtete Brief De genere dicendi philosophorum, in dem er diese Position vertrat, erregte Aufsehen.

Picos Verhältnis zu Ficino war keine einseitige Lehrer-Schüler-Beziehung. Pico gehörte zwar zu dem von Ficino inspirierten Kreis von mehr oder weniger neuplatonisch orientierten Humanisten, betrachtete sich aber nicht als Platoniker; er wollte sich nicht auf Anhängerschaft zu einer bestimmten philosophischen Schulrichtung begrenzen. Seine Eigenständigkeit betonte er, indem er sich gelegentlich nachdrücklich von Auffassungen Ficinos distanzierte. Ein Hauptunterschied bestand im Verständnis von Einheit und Seiendheit; während Ficino das göttliche Eine als überseiend betrachtete, meinte Pico, dass Einheit und Sein nicht zu trennen seien und auch Gott (das Eine im Sinne des Neuplatonismus) zum Seienden gehöre.

"Der frühverstorbene Pico de Mirandola ist ein sehr merkwürdiger Geist. Vertieft man sich in dasjenige, was er erdacht und ersonnen hat, so sieht man in seinem Denken, in seinem Sinnen überall dieselbe Inspiration wirksam, die ich eben charakterisiert habe: die Fortsetzung der Weisheit jenes alten Eingeweihten auf dem Umwege durch die Rosenkreuzerströmung. Aber man sieht wie eine Art Zurückweichen bei Pico de Mirandola, ein Zurückweichen vor dieser Erkenntnis. Er versichert zum Beispiel: Alles, was auf Erden geschieht, daß auf Erden Steine entstehen, daß auf Erden Pflanzen leben, wachsen, Früchte tragen, daß auf Erden Tiere leben, das alles rührt nicht von den Kräften der Erde her. - Wenn jemand glauben würde, da sei die Erde, und die Kräfte der Erde bewirken dasjenige, was auf der Erde ist, so habe er eine falsche Anschauung. Die richtige Anschauung nach Pico de Mirandola ist, daß es die Sterne sind, und dasjenige, was auf der Erde geschieht, alles abhängt von den Sternen. Das Kleinste, was auf Erden geschieht, ist nach Pico de Mirandola abhängig von den Sternen. Man muß zum Himmel hinaufschauen, wenn man begreifen will, was auf der Erde geschieht. Und es ist schon im Sinne von Pico de Mirandola geredet, wenn man sagt: Du gibst mir die Hand, mein Menschenbruder, aber es ist nicht nur dein Gefühl die Ursache davon, daß du die Hand gibst, sondern es ist der Stern, der über dir steht, der dir den Impuls gibt, mir die Hand zu geben. - Zuletzt ist alles bewirkt von demjenigen, was im Himmlischen, im Kosmischen begründet ist, und der Abglanz davon allein geschieht auf Erden.

Als bestimmte Überzeugung spricht das Pico de Mirandola aus, und zugleich sagt er: Aber die Menschen sind verpflichtet, nicht auf diese Sternenursachen zu sehen, sondern allein die nächste Ursache auf Erden zu berücksichtigen. - Von diesem Gesichtspunkte aus bekämpft Pico de Mirandola - das ist außerordentlich charakteristisch - die ihm überkommene Astrologie. Er weiß, daß die alte, wirkliche, echte Astrologie in den Schicksalen der Menschen sich ausspricht. Das weiß er, das hält er für eine Wahrheit. Allein er sagt, man solle nicht Astrologie treiben, man solle nur die nächsten Ursachen suchen.

Merken Sie, was da eigentlich vorliegt? Da liegt zum erstenmal in einer ganz eigentümlichen Art die Idee von den Grenzen der Erkenntnis vor, aber, ich möchte sagen, in der Form, in der sie ganz menschlich ist. Wenn Sie später bei Kant, bei Du Bois-Reymond nachschauen, da wird Ihnen gesagt: Der Mensch kann nicht die Grenzen der Erkenntnis überschreiten, es beruhe auf einer inneren Notwendigkeit. - Das ist bei Pico de Mirandola im 15.Jahrhundert nicht der Fall, sondern der sagt: Ja, dasjenige, was hier auf der Erde ist, ist von kosmischen Ursachen bewirkt, aber der Mensch soll verzichten, diese kosmischen Ursachen zu erkennen. Der Mensch soll sich auf die Erde beschränken, - Und so tritt uns im 15. Jahrhundert der freiwillige Verzicht auf die höchste Erkenntnis bei einer so charakteristischen Persönlichkeit wie Pico de Mirandola entgegen. Das ist eine kulturhistorische Geistestatsache von der denkbar weittragendsten Bedeutung." (Lit.: GA 233a, S. 48ff)

Oratio de hominis dignitate

Das als "Rede über die Würde des Menschen" bekannte Werk gehört zu den berühmtesten Texten der Renaissance, da es als Programmschrift gilt, welche die Prinzipien einer neuzeitlichen humanistischen Anthropologie verkündet. In diesem Sinne wurde die Rede von Jacob Burckhardt gedeutet, der sie als "eines der edelsten Vermächtnisse der Kulturepoche" (der Renaissance) bezeichnete. Es handelt sich um die Einleitungsrede zu der geplanten, am Einspruch des Papstes gescheiterten römischen Disputation. Picos Neffe Gianfrancesco Pico della Mirandola veröffentlichte die Rede 1496. Ursprünglich hatte sie keinen Titel; De hominis dignitate ("Über die Würde des Menschen") war zunächst nur eine Randnotiz gewesen, die jedoch so treffend schien, dass sie in der Ausgabe von 1557 zum Titel gemacht wurde.

Den Ausgangspunkt bildet ein Zitat aus einem antiken hermetischen Werk, dem zu Unrecht Apuleius zugeschriebenen Traktat Asclepius: "Ein großes Wunder ist der Mensch." Den Menschen hat Gott zuletzt geschaffen, nachdem er den niederen Lebewesen (Tieren und Pflanzen) und den höheren (Engeln und himmlischen Geistern) ihre jeweiligen unveränderlichen Bestimmungen und Orte zugeteilt hatte. Dem Menschen als einzigem Wesen hat der Schöpfer die Eigenschaft verliehen, nicht festgelegt zu sein. Daher ist der Mensch "ein Werk von unbestimmter Gestalt". Alle übrigen Geschöpfe sind von Natur aus mit Eigenschaften ausgestattet, die ihr mögliches Verhalten auf einen bestimmten Rahmen begrenzen, und demgemäß sind ihnen feste Wohnsitze zugewiesen. Der Mensch hingegen ist frei in die Mitte der Welt gestellt, damit er sich dort umschauen, alles Vorhandene erkunden und dann seine Wahl treffen kann. Damit wird er zu seinem eigenen Gestalter, der nach seinem freien Willen selbst entscheidet, wie und wo er sein will. Hierin liegt das Wunderbare seiner Natur und seine besondere Würde, und insofern ist er Abbild Gottes. Er ist weder himmlisch noch irdisch. Daher kann er gemäß seiner Entscheidung zum Tier entarten oder pflanzenartig vegetieren oder auch seine Vernunftanlage so entwickeln, dass er engelartig wird. Schließlich kann er sich sogar, "mit keiner Rolle der Geschöpfe zufrieden, in den Mittelpunkt seiner Einheit zurückziehen", wo er sich "in der abgeschiedenen Finsternis des Vaters" mit der Gottheit vereinigt. Wegen dieser vielfältigen Möglichkeiten und der ständig wechselnden und sich selbst verwandelnden Natur des Menschen vergleicht ihn Pico mit einem Chamäleon. Überschwänglich preist er die Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung.

Den Aufstieg zu Gott fasst Pico in Anlehnung an Pseudo-Dionysius Areopagita als dreistufigen Prozess auf. Auf die Reinigung (purgatio) folgt die Erleuchtung (illuminatio) und dann die Vollendung (perfectio). Die Reinigung geschieht durch Wissenschaften: durch die Moralphilosophie, die zur Bändigung der Leidenschaften befähigt, und die Logik, die zu rechtem Gebrauch der Verstandeskräfte anleitet. Zur Erleuchtung dient die Naturphilosophie, welche die Wunder der Natur erforscht und es ermöglicht, im Geschaffenen die Macht des Schöpfers zu erkennen. Zur Vollendung führt die Theologie als diejenige Disziplin, deren Gegenstand die unmittelbare Erkenntnis des Göttlichen ist. Zusammen bilden die drei Stufen bzw. Wissensgebiete eine dreigeteilte Philosophie (philosophia tripartita). Deren Inhalte sind nach Picos Überzeugung nicht nur den verschiedenen Richtungen der christlichen Philosophie gemeinsam, sondern auch den Lehren vorchristlicher und islamischer Philosophen (Platon, Aristoteles, Avicenna, Averroes).

Auf Jacob Burckhardts Sichtweise fußt eine populäre Deutung der Oratio als Manifest einer für die Renaissance typischen stolzen Selbstverherrlichung des Menschen, der sich zum Herrn seines Schicksals gemacht habe. Diese Interpretation wird von der neueren Forschung als einseitig betrachtet; sie greift einen Aspekt übertreibend heraus und wird dem Gesamtanliegen Picos nicht gerecht.

Textausgaben und Übersetzungen

Mehrere Werke
  • Giovanni Pico della Mirandola: De hominis dignitate, Heptaplus, De ente et uno, e scritti vari. Herausgegeben von Eugenio Garin. Vallecchi, Firenze 1942
  • Giovanni Pico della Mirandola: Ausgewählte Schriften. Herausgegeben von Arthur Liebert. Diederichs, Jena und Leipzig 1905 (enthält deutsche Übersetzungen folgender Werke: Briefe von und an Pico, Heptaplus, Über das Sein und die Einheit [Auszüge], Über die Würde des Menschen [auszugsweise], Apologia [Auszüge], Theologische Aphorismen, Gegen die Astrologie [Auszüge])
  • Giovanni Pico della Mirandola: Carmina Latina. Herausgegeben von Wolfgang Speyer. Brill, Leiden 1964 (kritische Ausgabe von Picos lateinischen Gedichten)
Einzelne Werke
  • Giovanni Pico della Mirandola: Über das Seiende und das Eine. De ente et uno. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Paul Richard Blum u. a. Meiner, Hamburg 2006, ISBN 978-3-7873-1760-8 (kritische Ausgabe des lateinischen Textes und deutsche Übersetzung)
  • Giovanni Pico della Mirandola: De hominis dignitate. Über die Würde des Menschen. Herausgegeben von August Buck. Meiner, Hamburg 1990, ISBN 978-3-7873-0959-7 (lateinischer Text mit einer deutschen Übersetzung von Norbert Baumgarten)
  • Giovanni Pico della Mirandola: Oratio de hominis dignitate. Rede über die Würde des Menschen. Herausgegeben von Gerd von der Gönna. Reclam, Stuttgart 1997, ISBN 978-3-15-009658-1 (lateinischer Text und deutsche Übersetzung)
  • Giovanni Pico della Mirandola: Kommentar zu einem Lied der Liebe. Herausgegeben von Thorsten Bürklin. Meiner, Hamburg 2001, ISBN 3-7873-1552-7 (italienischer Text und deutsche Übersetzung)
  • Giovanni Pico della Mirandola: Conclusiones nongentae. Le novecento Tesi dell'anno 1486. Herausgegeben von Albano Biondi. Olschki, Firenze 1995, ISBN 88-222-4305-6 (lateinischer Text und italienische Übersetzung)

Plinius-Manuskript des Pico

Giovanni Pico della Mirandola besaß eine 1481 entstandendene Abschrift der Historia naturalis des antiken Schriftstellers Plinius. Der namentlich nicht bekannte Maler der Illustrationen dieses Manuskriptes ist heute nach dem Besitzer als Meister des Plinius des Pico della Mirandola (italienisch Maestro del Plinio di Pico della Mirandola) benannt. Das aufwendige Werk ist ein leuchtendes Beispiel des Interesses der Renaissance-Gelehrten wie Pico an antiken, weltlichen und naturwissenschaftlichen Schriften.

Literatur

  • Michael V. Dougherty (Hrsg.): Pico della Mirandola. New Essays. Cambridge University Press, Cambridge (Massachusetts) 2008, ISBN 978-0-521-84736-0
  • Walter Andreas Euler: "Pia philosophia" et "docta religio". Theologie und Religion bei Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola. Fink, München 1998, ISBN 3-7705-3280-5
  • Chaim Wirszubski: Pico della Mirandola's Encounter with Jewish Mysticism, Harvard University Press, Cambridge (Massachusetts) 1989 ISBN 978-0674667303
  • Heinrich Reinhardt: Freiheit zu Gott. Der Grundgedanke des Systematikers Giovanni Pico della Mirandola (1463–1494). VCH, Weinheim 1989, ISBN 3-527-17669-1
  • Alexander Thumfart: Die Perspektive und die Zeichen. Hermetische Verschlüsselungen bei Giovanni Pico della Mirandola. Fink, München 1996, ISBN 3-7705-3051-9
Bibliographie
  • Leonardo Quaquarelli, Zita Zanardi: Pichiana. Bibliografia delle edizioni e degli studi. Olschki, Firenze 2005, ISBN 978-88-222-5488-7
  • Thomas Gilbhard: Paralipomena Pichiana. A propos einer Pico–Bibliographie. In: Accademia. Revue de la Société Marsile Ficin, Bd. 7, 2005, S. 81–94
Rudolf Steiner
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Weblinks

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Einzelnachweise

  1. Zu Picos Kenntnis der drei semitischen Sprachen siehe Paul Oskar Kristeller: Giovanni Pico della Mirandola and his sources. In: L'opera e il pensiero di Giovanni Pico della Mirandola nella storia dell'umanesimo. Convegno internazionale (Mirandola: 15–18 Settembre 1963), Bd. 1: Relazioni, Firenze 1965, S. 35–142, hier: 70–72.
  2. Chaim Wirszubski: Pico della Mirandola's Encounter with Jewish Mysticism, Cambridge (Massachusetts) 1989, S. 64; Walter Andreas Euler: "Pia philosophia" et "docta religio". Theologie und Religion bei Marsilio Ficino und Giovanni Pico della Mirandola, München 1998, S. 27.
  3. Louis Valcke, Roland Galibois: Le périple intellectuel de Jean Pic de la Mirandole, Sainte-Foy 1994, S. 123.
  4. Siehe zu diesen Vorgängen Louis Valcke, Roland Galibois: Le périple intellectuel de Jean Pic de la Mirandole, Sainte-Foy 1994, S. 125–129.
  5. Über dieses Werk fand 2004 in Mirandola und Ferrara ein Kongress statt; Kongressakten: Marco Bertozzi (Hrsg.): Nello specchio del cielo. Giovanni Pico della Mirandola e le Disputationes contro l'astrologia divinatoria, Firenze 2008.
  6. Louis Valcke, Roland Galibois: Le périple intellectuel de Jean Pic de la Mirandole, Sainte-Foy 1994, S. 161 und Anm. 58.
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